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“Evangelikale und Homosexualität” von Johannes Traichel

1. November 2022

Brauchen wir wirklich noch ein Buch über Homosexualität? Gibt es davon nicht schon so viele? Bei der großen Auswahl mag das tatsächlich eine berechtigte Frage darstellen, doch nach der Lektüre des neu erschienenen Buches von Johannes Traichel ist festzustellen, dass “Evangelikale und Homosexualität” als ein leicht zugängliches und doch sehr breitgefächertes Standardwerk mit einer klaren Message eine absolute Daseinsberechtigung hat. Der Autor bemüht sich um eine schriftgemäße Herangehensweise, prägt dabei keine einseitige, sondern eine allumfassende Schriftauswahl und eine Exegese, die den Gesamtkontext in Betracht zieht. Während er dabei – gut begründet – zur klassischen konservativen Sicht auf praktizierte Homosexualität kommt, ringt er um das Prägen einer Gemeindekultur, die – trotz oft berechtigter theologischer Triage – homosexuell Empfindenden liebevoll entgegentritt, sie auf dem Weg der Heiligung begleitet und ihnen hilt, die Sehnsucht nach Jesus Christus das Suchen nach Erfüllung in ausgelebter Sexualität ersetzen zu lassen. Traichel geht ausführlich auf Argumente der liberalen Theologie ein, die den biblischen Schriftbefund zu relativieren versucht und zeigt, dass sie nicht haltbar sind.

Einführung

Der Autor beginnt damit, die Debatten um das Thema der Homosexualität in den aktuellen Kontext einzuordnen. Die Welt ist im Wandel – was auch die evangelikalen Gemeinden nicht unberührt lässt. Traichel weist darauf hin, dass Diskussionen oft unbarmherzig und bewusst spalterisch geführt werden. Er setzt sich begründet zum Ziel, eine ergebnisoffene Betrachtung des biblischen Schriftbefundes und der christlichen Ethik durchzuführen, um wirklich hilfreiche und zielführende Herangehensweisen für Gemeinden daraus ableiten zu können.

Evangelikale und Homosexualität

In Kapitel Eins geht Traichel näher auf die aktuelle Debatte ein. Was nicht von der Hand zu weisen ist: im öffentlichen Auge sind evangelikale Gemeinden oft ein Ort der gehässigen Ablehnung und zerstörerischen Verachtung. Christen werden im Allgemeinen als homophob angesehen. Was uns aber klar sein muss: der christlichen Ethik und insbesondere der Sexualethik wurde nie, zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte der Christenheit mit großem Verständnis seitens der umgebenden Gesellschaft begegnet. Im Ergebnis ist jedoch zu erkennen, dass innerhalb der Gemeinde vermehrt der Druck auf Leitungsgremien verübt wird, das Thema Homosexualität in den Vordergrund zu stellen und dabei nicht selten eine Anpassung an den Zeitgeist vehement gefordert wird. Dabei ist jedoch erkennbar: die Diskussion geht viel tiefer. Letztlich stellt diese Büchse der Pandora einen Gradmesser dafür dar, inwiefern man die Autorität der Bibel ernst nimmt oder nicht.

Traichel verankert die evangelikale Bewegung in fünf zentralen Merkmalen: Bibel, Bekehrung, Gemeinde, Mission und Ethik. Anschließend gibt er grundsätzliche Fakten zur Homosexualität wieder, beispielsweise, dass sie – wie jedes andere Problem, mit dem Menschen zu kämpfen haben – ihre Wurzel in der Gefallenheit hat.

Im evangelikalen Kontext herrscht ein spürbares Spannungsfeld, was das Thema anbelangt. Betroffene berichten, dass sie trotz des Verzichts auf das Praktizieren ihrer homosexuellen Neigungen das Gefühl haben, nie ganz zu einer Gemeinde dazuzugehören. Aussprache und Offenheit wird oft von Angst und Sorge unterdrückt oder verhindert. Andererseits werden Betroffene stark in sich verunsichert, wenn sie zölibatär leben und plötzlich Stimmen liberaler Theologen ertönen, die ihnen erklären wollen, die Bibel würde das gar nicht von ihnen verlangen.

Grundsätzlich gibt es zwei Sichtweisen zur Homosexualität. Die liberale oder progressiv-revisionistische Sicht kommt – auf unterschiedlichen Wegen – zum Ergebnis, dass die Bibel ausgelebte Homosexualität nicht verurteilt, wohingegen die traditionelle oder konservative Sicht Sexualität einzig und allein in eine Ehe zwischen Mann und Frau verlagert und sexuelle Handlungen außerhalb dieses Rahmens – welcher Neigung auch immer, ausdrücklich auch heterosexuelle – als Sünde und Rebellion gegen Gott ansieht.

Bibel und Homosexualität

Traichel betrachtet unterschiedliche Kerntexte der Bibel, die etwas zum Thema Homosexualität zu sagen haben. Der Schöpfungsbericht aus dem Buch Genesis legt das Fundament für Ehe und Sexualität: beides ist voneinander untrennbar verortet in einer komplementären, auf Lebensdauer angelegten Beziehung. Fortpflanzung ist dabei ein grundlegendes Ziel. Ausgelebte Homosexualität findet in diesem Bericht keinen Platz und keine Rechtfertigung.

Gesetzestexte aus dem Buch Levitikus (18,22 sowie 20,13) bezeichnen praktizierte Homosexualität als “Gräuel vor dem Herrn”. Moderne Auslegungen, die hier ein reines Verbot von Päderastie sehen, sind exegetisch nicht haltbar, so Traichel. Das ist auch daran erkennbar, dass in diesen Vorgaben beide Parteien gleich bestraft werden, nicht von “ergreifen und beieinander liegen”, sondern schlicht von “beieinander liegen” die Rede ist sowie den Betreffenden klar ist, was sie tun. Schlicht und ergreifend wird jeglicher Geschlechtsakt zwischen Menschen desselben Geschlechts untersagt.

Um eine saubere Exegese der Schriften des Neuen Testaments zu ermöglichen, ordnet der Autor das Geschehen in den damaligen Kontext ein und weist beispielsweise darauf hin, dass Päderastie und Missbrauch von Niedrigergestellten Gang und Gäbe war, die antike Welt jedoch auch homosexuelle Beziehungen auf Augenhöhe kannte und auch damals schon nicht nur der bloße Akt, sondern auch die Orientierung schwuler und lesbischer Menschen als solche bekannt war.

Als einer der deutlichsten Texte ist Römer 1 zu sehen. Sehr sorgfältig geht Traichel hier auf Fragen an Paulus ein. So legt er aus, dass der Abschnitt im Römerbrief mit “schändlichen Leidenschaften” von einer Entehrung spricht, die Gott nicht gefällt. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass das homosexuelle Empfinden als eine Folge der Sünde und des Sündenfalls zu sehen ist, die womöglich eine persönliche Schuld nach sich ziehen kann, wenn ihr nachgegangen wird, sie an sich jedoch noch keine Sünde darstellt. Das ist eine entscheidende Feststellung mit wichtigen Folge für die Ethik und die Ekklesiologie. Klar ist, dass Paulus den “unnatürlichen Verkehr” verurteilt.

Häufig als Mittel zum Zweck missbrauchte Schriftabschnitte sind 1. Korinther 6, 9-10 und 1. Timotheus 1, 9-10. Dort tauchen die Begriffe “Lustknaben” und “Knabenschänder” unter denjenigen auf, die das Himmelreich nicht erben werden. Hier ist eine Auslegung treffend, die sowohl den passiven Part (Lustknabe) als auch den aktiven Part (Knabenschändern) gleichermaßen verurteilt und nicht die falsche und vereinfachende Annahme trifft, dass Paulus nur an Päderastie denkt. Hier ist anzumerken, dass die damalige Linguistik genau dafür schon ein Wort kannte. Hätte Paulus also nur den homosexuellen Missbrauch verurteilt, hätte er das gesagt und nicht unnötig kompliziert versucht, mit dem Allgemeinen das Spezielle anzusprechen.

Das häufig hervorbrachte Argument, Jesus schweige zum Thema Homosexualität, ist laut dem Autor nicht wahr. Zwar spricht Jesus nicht konkret davon, doch stellt er in der Bergpredigt einen Rahmen für biblische Ehe und Sexualität auf und verortet die Wurzel für jegliche “porneia” (Unzucht) im Herzen, in dem eine falsche Einstellung herrscht. Weiter gibt es für Jesus exakt zwei Alternativen (vgl. Matthäus 19, 11-12): eine Ehe zwischen einem Mann und einer Frau oder das Leben als “Verschnittener”, also als Single.

Ethik, Bibel und Zeitgeist

Aufbauend darauf steckt Traichel ab, wie christliche Ethik zu definieren ist: sie muss schriftgemäß sein, ihr Zentrum muss das Werk von Jesus Christus sein, sie muss die Perspektive Ewigkeit einnehmen, in Beziehung zur Lebenswirklichkeit des Christen stehen, Gottes- und Nächstenliebe als Fixpunkt erachten und eine Nachfolge von Jesus zur Basis haben.

Anschließend geht Johannes auf aktuelle Fragen an die christliche Ethik ein, die versuchen, die konservative Sicht auf praktizierte Homosexualität zu untermauern. Wenn tatsächlich über allem die Liebe steht, so ist zu beachten, dass Jesus selbst Liebe definiert – die Folge davon ist das Halten seiner Gebote (Johannes 14, 21). Hinter allen Verboten steht ein liebevoller Gott, der als Schöpfer und Erfinder sehr genau weiß, in welchem Rahmen seine Schöpfung gut und segensreich ist und in welchem nicht. Der Autor weist darauf hin, dass unsere Würde und Identität als Geschöpfe Gottes aus unserer Ebenbildlichkeit stammen und jede Verschiebung unausweichlich destruktiv sein wird. Paulus weist in 1. Korinther 6, 18-19 sehr deutlich darauf hin. Der Versuch, das Ausleben homosexueller Neigungen damit zu rechtfertigen, dass sie der tiefsten Identität der Betroffenen entsprechen, stellt letztlich einen Zirkelschluss dar: genau darin liegt das Wesen unseres sündigen Fleisches. So sind wir. Sünde kann nicht mit dem “so bin ich eben”-Argument rechtfertigt werden. Vielmehr muss die Lösung, die Jesus am Kreuz anbietet, ergriffen werden.

Ein weiteres oft vorgebrachtes Argument lautet “was nicht schadet, ist erlaubt”. So sei eine intime, sexuelle Beziehung zwischen zwei Menschen desselben Geschlechts, die im geborgenen Schutzraum des eigenen Zuhauses ausgelebt werde, für niemanden schädlich und daher legitim. Dieses Argument würde jedoch nur dann funktionieren, wenn sich alle darüber einig wären, was schadet. Obiges behaupten viele auch über Pornographie – jedoch ist bei einer rationalen Herangehensweise vielen klar, dass sie dem Konsumenten schadet und noch mehr Menschen dürfte bewusst sein, dass die Darsteller über kurz oder lang mindestens mentalen Schaden davontragen. Für die christliche Ethik muss daher unzweideutig klar sein, dass Gott den Maßstab darüber festlegt, was Gut und Böse ist. Sein Plan ist gut, und nur weil wir nicht immer alles verstehen, ändert sich an dieser Wahrheit gar nichts.

Ein wichtiger Punkt ist die Frage, ob das zölibatäre Leben, das aufgrund des biblischen Schriftbefundes die einzige Alternative für homosexuell Empfindende darstellen, nicht eine erhebliche Einbuße an Lebensqualität mit sich bringt. Hier ist zu sagen, dass zunächst einmal kein Recht auf Lust besteht: ein Heterosexueller, der keinen Lebenspartner findet, befindet sich letztlich in der gleichen Position. Wichtig ist es, Sex nicht zu vergöttern und die Schöpfung nicht über den Schöpfer zu stellen. Traichel zitiert den homosexuell empfindenden und enthaltsam lebenden Pastor Sam Allberry, der darauf hinweist, dass die Bibel sehr positiv vom Single-Sein spricht (bspw. in 1. Korinther 13). Es ist festzuhalten, dass das Zölibat im Vergleich zur Ehe keine “light-Version” vom Leben darstellt, sondern eine biblisch gefeierte und gleichermaßen wertvolle Lebensführung darstellt. Auch das hat wieder wichtige Folgen für Seelsorge und Lehrausrichtung in den Gemeinden.

Traichel weist darauf hin, dass eine Notverordnung (“lieber eine gleichgeschlechtliche Ehe eingehen als promisk homosexuellen Verkehr haben”) nicht haltbar ist, genauso wie die Ansicht, die biblischen Texte konnten die derzeitige Realität von liebevollen und auf Dauer angelegten homosexuellen Beziehungen noch nicht kennen und seien daher in ihrer Aussage einem Update zu unterziehen. Vielmehr ist der Hinblick auf die Ewigkeit ein unglaublich hilfreicher und wertvoller Perspektivenwechsel, der Sex und Ehe im Hier und Jetzt zwar nicht in ihrem Wert und ihrer Schönheit abschwächt, sie aber dennoch relativiert und die größere Hoffnung auf den Himmel in unser Zentrum rückt.

Gemeinde und Homosexualität

Betroffenenberichte, die in evangelikalen Gemeinden Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren haben, brechen nicht nur dem Autor das Herz. Für Verächtlichmachung und Doppelstandards kann kein Platz sein. Vielmehr muss eine Evangeliumskultur der Annahme, Seelsorge und der Unterscheidung zwischen Sünder und Sünde die Gemeindelandschaft prägen.

Traichel geht auf die Wichtigkeit einer großen Offenheit in den Gemeinden ein, die Beichten und ein Ablegen der Maske der Perfektion ermöglicht. Er weist darauf hin, dass nur in einer Kultur der Gnade und Barmherzigkeit Sünder tatsächlich Veränderung und Heilung finden können. Scheitern muss in Ordnung sein und ein Aufhelfen an der Tagesordnung. Eigentlich müsste es ohne Frage sein: der Leib Christi muss der sicherste Ort der Welt sein!

Vertrautheit und die Wertschätzung eines zölibatären Lebensstils sind Grundvoraussetzungen für eine Gemeinde, in der homosexuell Empfindende in Christus wachsen und Teil des Leibes sein können. Gemeinde sollen Familien sein, nicht Ansammlungen von Individuen, die sich nur zunicken und nichts übereinander wissen, keine gegenseitige Teilhabe leben. Der Autor zeigt auf, warum es so wichtig ist, eine Sehnsucht nach Jesus zu schaffen und nicht eine Befriedigung des Verlangens nach persönlicher Erfüllung. Er erklärt, warum Heiligung – ein Leben, das mehr und mehr nach dem Willen Gottes geführt wird – und die Gewissheit, dass die Sünde durch Jesu Sieg auf Golgatha keinen Anspruch mehr auf uns hat, unabdingbar und gleichzeitig bis ins Tiefste heilend für Christen ist.

Zwischen Einheit und Trennung

Klar ist: der Umgang mit Homosexualität ist äußerst herausfordernd. Emotionale Entgleisungen beider Seiten haben das deutlich gemacht. Traichel wirbt für Fingerspitzengefühl in der Frage des Spannungsfeldes zwischen “Appeasement und Triage”: zum einen muss sich die Gemeinde deutlich und klar von Irrlehren und denjenigen trennen, die sie verbreiten. Zum anderen muss die evangelikale Bewegung in entscheidenden Fragen sicher stehen und ein klares Bekenntnis besitzen, sich aber gleichzeitig in Fragen, die die Bibel selbst nicht abschließend beantwortet, nicht spalten. Die Sexualethik rechtfertigt laut Traichel aber durchaus eine Trennung, da sie das Herz um die Offenbarung und Wahrheit der Bibel betrifft. Gemeinden, die sich in Opposition gegenüber seinem Wort wiederfinden, sind dem geistlichen Untergang geweiht.

Die evangelikale Bewegung muss laut Traichel in ihrer Theologie konservativ und ihn ihrer Form vielfältig und kreativ sein, sonst hört sie auf, evangelikal zu sein. Betrachtet man den Erfolg der ersten Gemeinde besonders im zweiten Jahrhundert, so stellt man fest, dass er besonders darauf basierte, dass die Urgemeinde im ersten Jahrhundert eine ethische Kontrastgesellschaft darstellte: man passte sich nicht dem Zeitgeist an, obwohl man enormem Druck gegenüberstand.

Ergebnis und Ein kleiner Ausblick

Basierend auf diesen Betrachtungen lädt Traichel zu einem Ringen um liebevollen und evangeliumsgemäßen Umgang mit Homosexualität ein. Die Bibel ist klar, die christliche Ethik eindeutig. Und doch brauchen wir eine Kulturreform in unseren Gemeinden. Wir müssen den Betroffenen zeigen, dass Gott sie unendlich liebt, wie jeden einzelnen von uns. Wir brauchen Seelsorge, Gebet, praktische Unterstützung, Mitleid und die Prägung der Sicherheit, dass Erfüllung bei Gott mehr bietet als sexuelle Ekstase.

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