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Warum ich an die reformierte Erwählungslehre glaube

5. January 2024

Christliche Soteriologie, also die Lehre davon, wie ein Mensch das Heil erlangt, beschäftigt Theologen und Bibelleser seit jeher. Jahrhundertelang wurde um Wahrheiten gerungen, haben sich Gemeinden unterschiedlicher Meinungen voneinander distanziert – immerhin hat ein Verständnis davon, wer auf welche Art und Weise Zugang zur ewigen Rettung hat, direkte Konsequenzen für Gemeindelehre, Seelsorge und weitere Bereiche des christlichen Lebens. Jedoch sagt unsere Soteriologie ultimativ etwas darüber aus, wie wir über uns Menschen und Gott selbst denken.

Gleich vorneweg: Ich glaube an die Erwählungslehre, wie sie in den bekannten Fünf Punkten zusammengefasst wurde. Das bedeutet, dass ich davon überzeugt bin, dass Menschen vollkommen verdorben sind und keinen freien Willen haben, wenn es um ihr Heil geht, und Gott vor Grundlegung der Welt Individuen souverän erwählt hat, die er zu einem vom ihm bestimmten Zeitpunkt wirksam seiner Gemeinde hinzutut. In diesem Artikel möchte ich diese Position darlegen und verteidigen. Dabei sind die folgenden Argumente nicht als historisch-theologische Abhandlung gedacht, die das Thema umfassend und exakt wiedergibt und begründet. Vielmehr möchte ich anhand einer Mischung aus sowohl positiv als auch negativ formulierten Gedanken aufzeigen, was ich über Gottes Wesen und die Art und Weise, wie er rettet, gelernt habe.

Ein häufiger Einwand, der dabei noch nicht besonders stichhaltig einer konkreten Aussage entgegengerichtet ist, besagt folgendes: “Ihr Calvinisten meint doch, alles verstanden zu haben, obwohl das bei diesem komplexen Thema nicht möglich ist!” Doch hierzu möchte ich erwidern: Als solcher habe ich gerade eben nicht alles verstanden, denn ich bin der erste, der zugeben muss, dass mir die Aussagen, die mir zu dem Thema in der Bibel begegnen, und die Schlüsse, die ich daraus über Gott ziehe, alles abverlangen und oft zu hoch sind. Vielmehr habe ich beobachtet, dass Befürworter des freien Willens allem Anschein nach alles verstanden haben, da sie viele Bibelstellen auf eine Art und Weise auslegen (müssen), die sich doch nur schwerlich aus dem Text ergibt. In diesem Artikel möchte ich diesbezüglich einige Anfragen an die arminianische Lehre stellen, welche behauptet, dass Gott echte menschliche Entscheidungen wahren will (wobei das Attribut “echt” zu klären ist) und daher unsere freiwilligen Entscheidungen nicht beeinflusst, sondern schlicht auf sie reagiert.

Johannes Calvin selbst schreibt in seinem Unterricht folgendes:

Wer [die reformierte Erwählungslehre] nun ‘hart’ findet, der soll doch ein wenig bedenken, ob ein solches Murren verzeihlich sei, wo er doch eine von klaren Schriftzeugnissen belegte Lehre verachtet, nur weil sie über seinen Verstand geht, und darüber zürnt, dass Dinge zur Verhandlung kommen, die Gott nie durch seine Propheten und Apostel hätte lehren lassen, wenn er nicht wüsste, dass sie nützlich zu wissen sind! Denn unsere Weisheit kann in nichts anderem bestehen als darin, dass wir mit demütiger Lernbegierde alles – und zwar ohne Ausnahme – annehmen, was in der Heiligen Schrift kundgemacht wird.

Unterricht, S.130

Für meinen Teil bleibt mir jedes Mal nur übrig anzuerkennen, dass mein Hirn viel zu klein ist, als dass ich alles über den Gott der Bibel verstehen könnte. All die Dinge, über die ich gleich schreibe, sind für mich keineswegs weder schnell dahergesagt noch leichte Kost. Denn eins ist klar: Wer Ja zur Prädestination sagt, muss auch Ja zur doppelten sagen; wenn Gott Menschen zum Heil erwählt, dann erwählt er einige nicht.

Erwählung als Ausdruck von Gottes Souveränität

Das ist sicherlich der Punkt, der die meisten Menschen herausfordert und provoziert: Wie kann Gott darüber entscheiden, ob ein Geschöpf auf ewig verloren geht? Aufgrund der Formulierung dieser Frage sind zwei Arten der Antwort möglich und notwendig.

Zunächst einmal ist es wichtig, exakt zu sein. Es ist nicht ausreichend zu sagen, dass Gott diese Entscheidung trifft, einfach weil er es kann. Diese Art der Begründung stützt sich darauf, dass Gott in der Lage ist, alles zu tun, was er will. Doch das allein hilft im Verständnis der Erwählung nicht weiter – potenziell könnte sie dadurch immer noch (moralisch) falsch sein. Daher ist es wichtig zu betonen, dass Gott nur Dinge tun kann, die seinem Wesen entsprechen. Gott kann zum Beispiel nicht lügen, da er selbst Wahrheit ist und nicht einfach nur, weil er bisher eben immer gemäß ihr gehandelt hat. Wenn Gott souverän über seine Schöpfung regiert und in ihr handelt, dann bedeutet das zwangsläufig, dass Gott sich gemäß seines Charakters und damit moralisch richtig verhält. 2. Timotheus 2,13 macht deutlich: er kann sich selbst nicht verleugnen.

Sollten wir also zu dem Schluss kommen, dass Gott Menschen erwählt, dann folgen daraus direkt zwei Dinge:

  • Er tut es nicht, nur weil er dazu in der Lage ist, obwohl seine Entscheidung der Moral (einer dann höheren Instanz) entgegenspricht.
  • Er tut es, weil er dazu in der Lage ist und sein Handeln gemäß seines Wesens objektiv richtig ist, da sein Tun immer Funktion seines Seins ist.

Weiter bedeutet das schlichtweg, dass eine Aussage über Gott nicht dadurch wahr oder falsch wird, dass wir sie verstehen bzw. nachvollziehen können oder nicht. Wenn sein Wesen der alleinige Maßstab ist, an dem sowohl Gottes als auch unsere Handlungen gemessen werden können, dann ist es schlichtweg nicht von Relevanz, ob wir daran glauben, dass er etwas tut und ob es richtig ist. Wenn Gott also sagt, dass er “Jakob geliebt […], Esau aber […] gehasst” hat (Mal 1,3), dann bleibt uns nur anzuerkennen, dass er das so entschieden hat und diese Entscheidung gleichermaßen unbedingt seinem Charakter entspricht. Fällt unser Urteil anders aus, liegt das Problem im selben Moment bei uns.

Erwählung als Ausdruck von Gottes Gnade

Des Weiteren ist das Wie in der obenstehenden Aussage genauer zu betrachten. Ist es nicht ungerecht, wenn Gott einzelne erwählt und andere nicht?

Hierzu müssen wir uns gut überlegen, welche Voraussetzung für Ungerechtigkeit in diesem Fall notwendig wäre. Bedienen wir uns dazu eines kleinen Beispiels. Stell dir vor, eine Gruppe von erstklassigen Studenten bewirbt sich für ein Stipendium. Die Voraussetzungen sind klar kommuniziert: Um die Bewilligung zu erhalten, ist ein Notendurchschnitt von 1,1 notwendig. Da alle Studenten der Gruppe sogar 1,0 aufweisen können, ist jeder einzelne von ihnen berechtigt. Da es sonst keine Auswahlkriterien gibt, rechnen alle damit, angenommen zu werden. Als die Briefe ankommen, erhalten jedoch nur drei der Studenten die Zusage; alle anderen werden abgelehnt. Das ist ungerecht, oder?

Warum denken wir so? Wir tun das aufgrund von zwei Kriterien. Wir empfinden es als unfair, wenn ein Student im Vergleich zu einem anderen das Stipendium nicht erhält, obwohl er genauso

  • möchte und
  • die Voraussetzungen dafür erfüllt.

Wir spüren, dass diese Entscheidung entweder auf schlichter Willkür oder auf Kriterien basiert, die entweder nicht kommuniziert oder von niederen Motiven wie Rassismus angetrieben sind.

Doch ist es das, was passiert, wenn Gott Menschen zum Heil erwählt? Wenn wir das vereinfachende Beispiel hierauf anwenden wollen, dann würde das in etwa so aussehen: Gott würde wohl ungerecht handeln, wenn wir davon ausgehen, dass die Menschheit als homogene Gruppe das Heil

  • möchte und
  • die Voraussetzungen dafür erfüllt.

Aber ist das der Fall? Psalm 53,3-4 zeigt (Paulus zitiert diese Verse später in Römer 3,10-12):

Gott schaut vom Himmel auf die Menschenkinder, um zu sehen, ob es einen Verständigen gibt, einen, der nach Gott fragt. Sie sind alle abgewichen, allesamt verdorben; es gibt keinen, der Gutes tut, auch nicht einen Einzigen!

Hier wird unmissverständlich klar: Kein einziger Mensch

  • möchte das Heil und Gemeinschaft mit Gott noch
  • erfüllt er die Voraussetzungen dafür.

Wenn das stimmt, dann müssen wir unser Beispiel ganz anders aufziehen. Stellen wir uns viel lieber eine Gruppe von unglaublich faulen und miesen Studenten vor, die im Notenspiegel so fernab von Gut und Böse befindlich sind, dass sie eigentlich von der Uni geworfen gehören. Keiner von ihnen denkt auch nur daran, sich für ein Stipendium zu bewerben; nicht nur, weil sie wissen, dass sie es eh nicht verdienen, sondern weil sie Bildung und gute Leistungen im Allgemeinen verachten und es daher gar nicht wollen. Sie demonstrieren sogar gegen Stipendien und mobilisieren andere, diesem kapitalistischen urbösen Konstrukt Widerstand zu leisten.

Doch dann erhalten einige von ihnen Briefe, in denen steht, dass sie von nun an 300 Euro monatlich erhalten, ohne etwas dafür tun oder das Geld irgendwann zurückzahlen zu müssen. Ein Sinneswandel setzt bei ihnen ein – dieses Geschenk kann nicht abgelehnt werden. Aus Dankbarkeit beginnen sie, sich voll ins Studium reinzuhängen, während der Rest der Gruppe nicht etwa seine Einstellung gegenüber freiwilligen Stipendien ändert, sondern umso heftiger dagegen ankämpft.

Ist das ungerecht in dem Sinne, wie wir bei der Gruppe der willigen und geeigneten Studenten geurteilt haben? Nein, denn keins der Kriterien, die wir dafür ausgemacht hatten, trifft hier zu (sofern Rassismus oder andere niedere Gründe keine Rolle bei der Entscheidung gespielt haben).

Wenn du Christ bist, will ich dich einladen, folgendes Gedankenspiel so lange durchzuführen, bis du eine zufriedenstellende Antwort erhalten hast: Überlege dir, warum du Jesus nachfolgst und dein nächster Bekannter, der kein Christ ist, nicht. Warum hast du dich bekehrt und er nicht? Vielleicht sagst du: Nun ja, ich habe den Ruf in der Gemeinde befolgt und bin nach vorne gekommen; er nicht. Beantwortet das die Frage? Keineswegs, du hast nur eine weitere gestellt. Warum bist du auf die Knie gegangen und hast Jesus als deinen persönlichen Retter und Herrn angenommen und er nicht? Ich habe diese Entscheidung getroffen und er konnte sich nicht trennen von seinem sündigen Leben. Wiederum: Warum du und nicht er? Warst du besser? Hast du es mehr verdient?

Wenn du das ehrlich machst, wirst du immer weiter fragen müssen und nie zu einem Ende kommen. Diese ewige Kette kann nur ein Ende finden: In Gott. Paulus diagnostiziert den Zustand eines jeden Menschen klar und deutlich in Epheser 2,1: tot […] durch Übertretungen und Sünden. Paulus spricht nicht von einer geistlichen Krankheit, sondern von geistlichem Tod. Und die Frage ist doch: Wie kann ein Toter auf den Ruf Jesu Christi “Kommt zu mir alle” reagieren? Er hört ihn vielleicht mit den leiblichen Ohren – doch wenn der Geist tot ist, hört dieser nichts. Die ultimative Konsequenz ist die, dass niemand gerettet werden kann – wenn Gott das Heil nur anbietet.

Für Paulus ist also unmissverständlich klar (Eph 1,3-6):

Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jedem geistlichen Segen in den himmlischen [Regionen] in Christus, wie er uns in ihm auserwählt hat vor Grundlegung der Welt, damit wir heilig und tadellos vor ihm seien in Liebe. Er hat uns vorherbestimmt zur Sohnschaft für sich selbst durch Jesus Christus, nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Lob der Herrlichkeit seiner Gnade, mit der er uns begnadigt hat in dem Geliebten.

Die reformierte Erwählungslehre betont stark die Gnade Gottes in der Errettung. Errettung ist kein Verdienst, den wir uns erarbeiten können, sondern ein Geschenk, das uns aus Gnade gegeben wird. Paulus wird nicht müde zu betonen, dass niemand, der errettet ist, sich selbst dafür die Ehre geben kann. Weder wollte ich dieses Heil, noch habe ich die Voraussetzungen dafür erfüllt. Wenn Gott aus einer Gruppe, aus der niemand würdig dazu ist, souverän einige errettet, dann ist das nicht ungerecht (da die übrigen gerecht bestraft werden), sondern gnädig.

Aufgrund des biblischen Befunds können wir nur zu dem Schluss kommen, dass meine Bekehrung nicht vor, sondern nach meiner Errettung erfolgt ist. Die Übergabe meines Lebens an Jesus ist nicht Voraussetzung, sondern Folge meines Heils.

Direkte Folgen

Andernfalls müssen wir schwerwiegende Folgen für unsere Theologie auf uns nehmen, von denen ich einige noch näher beleuchten möchte. Zum einen stellt sich die Frage, ob wir uns nicht ein Stück weit über die Schrift stellen und damit ihre Autorität in Frage stellen, wenn wir Epheser 1 und 2, Römer 8 und 9, 1. Petrus 1 und viele weitere deutliche Stellen so auslegen müssen, dass Gott eben nicht erwählt und wir uns frei für Gott entscheiden. Zum anderen folgt daraus, dass wir in unserer Bewertung der eigenen Gefallenheit besser abschneiden als in der Paulus’.

Weitere folgenschwere Abstriche in unserem Verständnis von Gott und Welt bestehen in mindestens den folgenden Punkten:

  • In unserer Auffassung von Gottes Souveränität und Allmacht
  • In unserem Verständnis von Gottes Unveränderlichkeit
  • In unserer Überzeugung von Gottes Triumph über das Böse

Abstriche in Gottes Souveränität und Allmacht

Der Theologe Clark Pinnock, der der reformierten Ansicht entgegenstand und der arminianischen Position folgte, war der Überzeugung: “Der Fall des Menschen ist eine vielsagende Widerlegung der Theorie, dass Gottes Wille immer geschehe” (Responsible Freedom, S. 102). Das bedeutet jedoch direkt, dass das Böse existiert, obwohl Gott es nicht wollte! Die arminianische Antwort besteht dann darin, zu sagen, dass Gott, um echt freie Entscheidungen seiner Geschöpfe zulassen zu können, hierzu auch die Möglichkeit sündiger Entscheidungen freilassen musste, da sonst die notwendige Freiheit für sie fehlt. Daraus folgt, dass echte, freie Entscheidungen nur dann bestehen, wenn die Möglichkeit besteht, dabei sündigen zu können. Doch das wiederum bringt drei fatale Konsequenzen mit sich:

  1. Wenn in der Ewigkeit im Himmel echte Entscheidungen möglich sein sollen, sind dort auch sündige Entscheidungen möglich. Wir könnten also in der Gegenwart Gottes das Böse wählen, damit gegen ihn rebellieren – und müssten konsequenterweise hinausgeworfen werden. (So argumentiert Wayne Grudem in seiner Dogmatik).
  2. Noch beunruhigender: Wenn echte Entscheidungen die Möglichkeit sündiger beinhalten müssen, bedeutet das entweder, dass Gottes Entscheidungen nicht echt sind, weil er nie das Böse wählen kann, oder dass Gott eines Tages in seinem Tun sündigen könnte, weil es denkbar ist. Wir haben jedoch bereits gesehen, dass das klar gegen ein biblisches Verständnis von Gottes Wesen verstößt, der das absolut Reale ist und sich selbst nicht verleugnen kann.
  3. Gott ist also letztlich menschlichen Entscheidungen unterworfen. Es passiert nicht das, was er will, sondern das, was der Mensch entscheidet. Wir machen uns zu Gott und das ist – so krass wie es klingt – Blasphemie.

Abstriche in Gottes Unveränderlichkeit

Ein häufig hervorgebrachter arminianischer Gedanke ist der des Buch des Lebens, welches in Offenbarung 13,8 auftaucht. In diesem Verständnis ist dieses Buch ein dynamisches Journal, in dem Gott notiert, wer sich bekehrt, und dementsprechend die Namen derer entfernt, die sich von ihm lossagen (diese Option besteht aufgrund des argumentierten freien Willens ja!).

Doch diese Auffassung impliziert wiederum etwas, das direkte Folgen für eine andere Eigenschaft Gottes hat, die beispielsweise Hebräer 13,8 wie folgt formuliert: Er “ist derselbe gestern und heute und auch in Ewigkeit”. Ich spreche von Gottes Unveränderlichkeit, die Stephen Charnock gut auf den Punkt bringt:

[Gott ist] ohne irgendeine neue Natur, einen neuen Gedanken, einen neuen Willen, einen neuen Zweck oder einen neuen Ort. Gott ist ein notwendiges Wesen; er ist notwendigerweise das, was er ist, und ist daher unveränderlich das, was er ist.

The Works of Stephen Charnock, Bd. 1

Wenn das Buch des Lebens jedoch ein veränderbares Werk ist, dann ist Gott nicht mehr unveränderlich. Denn: Eine bestimmte Zeitlang steht eine Person nicht darin, denn Gott ist der Annahme, dass diese Person verlorengeht, da er nunmal nicht wissen kann, wie sich der Mensch entscheidet (auch eine waghalsige Aussage, die aber nur konsequent ist: Wenn echte, freie Entscheidungen des Menschen möglich sein sollen, dann kann Gott die Zukunft nicht kennen, denn wenn er sie kennt, würde die arminianische Position zu Ende gedacht urteilen, dass Menschen doch keinen freien Willen haben, was sie jedoch nicht aufgeben will, da sie sich sonst selbst vernichtet). Wenn dieser Mensch sich dann bekehrt, muss Gott seinen Willen ihm gegenüber ändern, da er nun das Heil erlangt hat.

Eine weitere Folge: Da Gottes Unveränderlichkeit bei ihnen massive Einbußen erdulden muss, ist Seelsorge von Arminianern nichts als Selbsthilfe. Wenn Gott menschlichen Entscheidungen unterworfen ist, kann ich niemandem Verheißungen zusprechen, denn diese sind ja nur gültig, wenn die geplagte Seele sich korrekt verhält.

Welchen Trost hätte man davon, zu einem Gott zu beten, der – einem Chamäleon gleich – seine Farben jeden Tag, jeden Moment verändert?

The Works of Stephen Charnock, Bd. 1

Abstriche in Gottes Triumph über das Böse

Die calvinistische Position nimmt hin, dass das Böse nach Gottes Willen in die Welt eingedrungen ist, da er souverän auch darüber herrscht und es seinen heiligen Zwecken dient. Natürlich stellt uns das vor eine Schwierigkeit, nämlich vor die Frage, ob Gott nicht verantwortlich für das Böse ist, worauf ich am Ende kurz eingehen möchte. Aber ich will fragen, ob die arminianische Auffassung, dass das Böse durch die bloße Möglichkeit und der entsprechenden menschlichen Entscheidung in die Welt kam, nicht viel problematischer ist: Denn wenn es sich so verhält, dass das Böse am Anfang gegen Gottes Willen und damit außerhalb seines Machtbereichs alles überflutet hat, wie können wir dann wissen, dass Gott am Ende der Zeit über es triumphieren wird? Verkommen dann nicht alle biblischen Aussagen, die diesen letztendlichen Sieg proklamieren, zu bloßen Wunschvorstellungen, die Gott selbst gar nicht vorhersehen, geschweige denn beeinflussen kann?

Schwierige Fragen

Selbstverständlich bringt auch die reformierte Ansicht einige Schwierigkeiten mit sich, auf derer drei ich ganz knapp eingehen möchte. Dabei ist nicht mein Ziel, diese abschließend aufzulösen, sondern vielmehr zuzugeben, dass das nicht geht, und die allgemeine Stoßrichtung des Calvinismus aufzuzeigen, die dazu tendiert, sich ehrlich die Begrenztheit des eigenen Verständnisses angesichts der unendlichen Größe Gottes einzugestehen.

  1. Lehrt der Calvinismus nicht begrenzte Sühne? Doch, das tut er – doch dieser Begriff ist missverständlich und unglücklich gewählt. R. C. Sproul hat den deutlich passenderen Terminus der wirksamen oder eindeutigen Erlösung geprägt. Dies resultiert aus dem folgenden Gedankengang: Wenn Jesus seine Erlösung am Kreuz für alle vollbringt (wie die arminianische Ansicht betont), aber nicht alle effektiv in den Himmel kommen (was Arminianer nicht leugnen würden, da sie keine Allversöhner sind), dann bedeutet das zwangsläufig, dass Jesus Menschen nicht retten konnte, obwohl er es wollte – er ist ja für diese Menschen ans Kreuz gegangen. Das ist wieder ein schmerzhafter und folgenschwerer Abstrich von Gottes Souveränität und Allmacht! Da Gott aber unbedingt das erreicht, was er will (wie wir bereits gesehen haben), bleibt uns nur das Verständnis, dass Jesu Erlösungswerk zwar theoretisch allen Menschen offensteht (und diejenigen, die es nicht annehmen, dafür auch die volle Verantwortung zu tragen haben), es aber nur für die Erwählten effektiv und wirksam wird.
  2. Ist eine Auswirkung des Calvinismus nicht Faulheit und geistliche Trägheit? Dieser oft vorgebrachte Einwand basiert auf der total falschen Ansicht, dass Reformierte leugnen, dass Menschen Verantwortung für ihre Entscheidungen tragen und diese auch tatsächliche Auswirkungen auf den Lauf der Zeit haben. Ich habe in diesem Artikel argumentiert, dass Gott sich nicht verändert, nur weil wir etwas entscheiden, jedoch habe ich nie behauptet, dass unsere Beschlüsse keine Konsequenzen haben. Kein gesunder Calvinist würde darauf bestehen, dass es egal ist, ob wir rauchen oder nicht, da unsere Lebenszeit sowieso bestimmt ist; keiner würde die Behauptung aufstellen, dass wir sündigen dürfen, so viel wir wollen. Nein, vielmehr wissen wir doch, dass wir bewusste Wesen sind, die in ihrem begrenzten Umfeld dazu aufgerufen sind, weise Entscheidungen zu treffen, die Folgen haben: Tu dies, so wirst du leben, sagt Jesus selbst (Lk 10,28). Doch der fundamentale Unterschied zur arminianischen Position liegt darin, dass diese Beschlüsse nicht Ursachen für Veränderungen, sondern souverän vorherbestimmte Mittel für die souverän vorherbestimmten Ziele Gottes sind. Daher sind gerade Reformierte diejenigen (konsequenterweise die einzigen mit dem Recht dazu), die im Vertrauen auf Gott für andere beten können. Denn nur, wenn unsere Gebete Mittel und nicht Ursache sind, können wir wirklich wissen, dass sie in Erfüllung gehen! Dieses Spannungsfeld aus menschlicher Verantwortlichkeit und göttlicher Vorsehung bleibt bestehen; es ist ein gesundes, durch die Heilige Schrift aufrechterhaltenes, welches uns gerade geistlich auf Trab hält und uns dabei doch versichert, dass wir nie tiefer als in die Hand Gottes fallen können.
  3. Ist Gott dann nicht verantwortlich für das Böse? Der Arminianer protestiert vehement: “Wie kann Gott heilig sein, wenn er Menschen dazu veranlasst zu sündigen?” Jedoch ist es schlicht und ergreifend Fakt, dass Gott im biblischen Kontext Menschen verhärtet, sei es in der Erzählung von Joseph (1Mose 50,20), in der Geschichte um den ägyptischen Pharao (”Ich aber will sein Herz verstocken, dass er das Volk nicht ziehen lassen wird.”, 2Mose 4,21) oder der Kreuzigung Jesu. Wayne Grudem schreibt dazu:

Gott selbst sündigt nie, sondern bewirkt seinen Willen immer durch sekundäre Ursachen, das heißt durch sittlich handelnde Personen, die freiwillig, willentlich das tun, was Gott vorherbestimmt hat. Diese […] sind für das Böse, das sie tun, verantwortlich zu machen […]. [Die] Heilige Schrift [nennt] wiederholt Beispiele, wo Gott in einer geheimnisvollen, verborgenen Weise irgendwie bestimmt, dass Menschen Böses tun, aber ständig die Verantwortung für dieses Unrecht dem einzelnen Menschen auferlegt, der Unrecht tut, und Gott diese Verantwortung niemals selbst trägt.

Biblische Dogmatik, S. 380f.

Nicht abschließender Abschluss

Während die Fragen, die der Calvinismus nicht abschließend beantworten kann, ihr Zufriedenlassen aber in einem “Gott ist so groß und wir so klein, dass wir im Nebel nicht alles erkennen können” finden, führen die offenbleibenden Probleme des Arminianismus unweigerlich sowohl zu einem Herabsetzen der Größe Gottes, der Verlässlichkeit seiner Verheißungen, der Dimension seiner Allmacht und dem Schrecken unserer Verlorenheit, als auch gleichzeitig zu einem Überhöhen des Einflusses der Schöpfung auf den Schöpfer und der Macht des Bösen.

Ich bin also gerne bereit zuzugeben, dass die Ansicht, von der ich überzeugt bin, nicht perfekt ist. Das ist nicht möglich, da unsere Erkenntnis befleckt und begrenzt ist. Jedoch denke ich, dass die reformierte Soteriologie aufgrund aller betrachteten Punkte (und es gibt noch weit mehr, die nicht außer Acht gelassen werden sollten) zu bevorzugen ist. Ich verstehe die Angst vieler arminianischer Geschwister, die aus einem Eifer für Heiligkeit heraus befürchten, dass wir in eine Art Antinomismus verfallen könnten und die Gefahr eines Lotterlebens im Raum steht, wenn wir göttliche Erwählung lehren. Doch ich habe versucht aufzuzeigen, dass ein richtiges Verständnis von Sünde und Gott gerade das verhindert und wir nur in einem Streben nach Erkenntnis der Souveränität Ruhe und Zuversicht finden können. Zudem sollte es unser Wunsch sein, den Charakter Gottes zu erkennen und in seiner Größe und Schönheit zu feiern, auch wenn wir uns damit notwendigerweise in Sphären begeben, in denen wir mit Paulus zugeben müssen:

Denn wir sehen jetzt mittels eines Spiegels wie im Rätsel, dann aber von Angesicht zu Angesicht; jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.

1Kor 13,12

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