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Die faulen Arbeiter im Erntefeld

22. January 2023

In Lukas 10,2 sagt Jesus zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber es sind wenige Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende! Wenn es um Mission und Evangelisation geht, wählt Jesus bewusst das Bild von harter Feldarbeit. An anderer Stelle verwendet er den Begriff “Menschenfischer“, was wiederum Assoziationen mit schwerer, anstrengender Arbeit erweckt. Ich glaube, dass Jesus diese Rhetorik nicht nur deswegen wählt, weil seine Zeitgenossen etwas mit diesen Begrifflichkeiten anfangen und sich etwas darunter vorstellen konnten, sondern weil er seinen Jüngern und auch uns heute etwas ganz Wesentliches aufzeigen möchte: Arbeit am Evangelium ist harte, oft undankbare Arbeit. Eine lohnenswerte – aber oft enttäuschende. Eine segensbringende – aber häufig niederschmetternde. Und ich glaube, dass in Jesu Worten auch eine Warnung an die steckt, die sich diese Arbeit zu leicht machen.

Wenn ich mir die evangelikale Landschaft ansehe, habe ich verstärkt den Eindruck, dass viele es sich in der Arbeit am Evangelium bequem gemacht und sich zurückgelehnt haben. Ich glaube, dass wir es verlernt haben, Menschen durch langsame, anstrengende Prozesse des Wachstums zu begleiten. Wir haben verlernt, unangenehme Botschaften der Schrift, die nicht in den Zeitgeist passen, zu verteidigen und alles daran zu setzen, dass das Wort auf Wegen klarer Auslegung, intensiven Gebets, wachsender Heiligung und tiefer Nächstenliebe selbst seine Kraft entfalten kann. Wir haben verlernt, wirklich für andere da zu sein, weil es viel einfacher ist, ihn in seinen Fehlern zu bestätigen, als mitten in der Nacht ans Handy zu gehen und den Freund, der wieder in alte Muster des Alkohols gefallen ist, zu ermutigen, für ihn zu beten und ein Frühstück am nächsten Morgen mit ihm auszumachen. Weil es so viel einfacher ist, der Freundin zu sagen, dass es tatsächlich nicht so wichtig ist, am Sonntagmorgen in die Gemeinde zu kommen, anstatt mit ihr beim Nachmittagstee den Epheserbrief durchzugehen und Gottes Idee von Gemeinschaft und ihrer Notwendigkeit darzustellen. Weil es so viel einfacher ist, dem Facebook-Kommentierenden zuzustimmen, wenn er sagt, dass es doch nie sein kann, dass Jesus Homosexuelle nicht im Ausleben ihres Verlangens unterstützen und sie so annehmen würde, wie sie sind, ohne ihr Verhalten ändern zu wollen, anstatt sich auf die Seite der unumstößlichen Souveränität der Bibel zu stellen und Gottes Entwurf für Ehe und Sexualität zu verteidigen.

Und der Effekt vom faulen Arbeiten zeigt sich sehr deutlich: Die Grenzen zwischen dem christlichen Glauben und der Kultur um ihn herum verschwimmen immer mehr. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) solidarisiert sich mit Fridays For Future und neuerdings auch mit der Letzten Generation, da die “Bewahrung der Schöpfung auch Aufgabe der Kirche sei”. Der Pfarrer David Brunner schreibt in seinem offenen Brief an die Synode der EKD richtigerweise dazu: “Es ist verstörend und erschreckend, wie sich die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland politisch äußert, aber das Evangelium dabei außen vorlässt. Natürlich hat der christliche Glaube immer eine politische Dimension im Sinne des verantwortungsvollen Handelns in der Gesellschaft. Dabei muss aber das genuin “Kirchliche”, das Evangelium, das Christliche eine Rolle spielen und nicht einfach nur politische Ansichten kolportiert werden.

Es ist so viel einfacher, sich einer Bewegung anzuschließen, die in der Bevölkerung große Zustimmung erhält, als sich aus der politischen Diskussion herauszuhalten und biblisch begründet aufzuzeigen, dass die Welt, die eines Tages vergangen sein wird, in Gottes Händen liegt und die Frage, wo wir nach ihrem Ende in der Ewigkeit sein werden, die wesentlich brennendere ist. (Ich rede hier nicht im Speziellen von der Letzten Generation, die sicher äußerst kontrovers diskutiert wird, sondern allgemeiner von der Klimaschutzbewegung).

In einer ersten Reaktion mag postevangelikale Theologie für den Zuhörer sehr viel annehmbarer klingen: Weniger Gerede von Sünde und Hölle, mehr ohrenschmeichelnde Worte von Selbstachtung und Liebe, schön verpackt. Markus Till berichtet in seinem Vortrag beim EAD-Symposium “Verbindende Glaubensschätze” von seinen Beobachtungen: “Ich merke, dass diese Art von Theologie oft Spitzenplätze belegt in den Internet-Charts. Es ist ja auch kein Wunder: Diese Theologie ist attraktiv, sie
umgibt sich gern mit einer Aura von intellektueller Überlegenheit, von Toleranz, von Aufgeklärtheit. Sie entlässt uns aus Konflikten zwischen biblischen Aussagen und Werten unserer Zeit […]
“. Er bringt als Beispiel ein Zitat aus Jakob Friedrichs Buch Ist das Gott oder kann das weg?: “Wenn es dir also wichtig ist, an Jesus als den Sohn einer Jungfrau zu glauben, dann tu es. Mit Freude. Wenn dich diese Vorstellung jedoch eher befremdet, dann lass es. Und bitte nicht minder freudig.”

Die Verwaschung der Doktrin der Jungfrauengeburt ist nur eines von vielen Beispielen, wie sich Pastoren, Autoren, Bibellehrer und Theologen die Arbeit leicht machen und versuchen, das Evangelium in einer Generation hoffähig zu machen, die getrieben ist von brennenden Fragen von Identität, Selbstwahrnehmung und Gefühlen – nicht unbedingt von Ablehnung oder Ignoranz, wie wir das häufig auffassen! Aber auf diese Menschen und ihre Fragen einzugehen, mit ihnen an die tieferliegenden Wurzeln zu graben und ihnen schrifttreu aufzuzeigen, wie sehr sie geliebte Geschöpfe sind, dass ihre Würde allein in Gott begründet sein kann und wie sie ihr wahres Ich nicht hier, sondern bei ihm finden, scheint für uns aussichtslos. In einem Zeitalter von Oberflächlichkeit und mangelnder Konzentration kann man mit postevangelikaler Theologie unfassbar schnell Touchdowns einfahren. Was dabei aber passiert: Das Evangelium – Jesus selbst – wird im Sonderangebot als blutleere Hülle verscherbelt. Dieses Evangelium rettet keinen und nimmt uns alles.

Ich musste an Paulus denken, der in 1. Korinther 9,22 schreibt: ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise etliche rette. Ziemlich viel alles für ziemlich wenig etliches, oder? Über unsere evangelikale Welt würde Paulus wohl trocken urteilen: ich habe allen alles versprochen, damit auf alle Weise alle verloren gehen.

Wir haben verlernt, allen alles zu sein, damit auf alle Weise etliche gerettet werden, weil das Tränen und Schweiß kostet. Aber wenn uns wirklich etwas an den Menschen liegt, muss es uns das wert sein. Wir müssen im Kern an der biblischen Botschaft und Autorität festhalten. Und wieder neu lernen, die harten, schweren, kurzen, anstrengenden Schritte der oft scheinbar aussichtslosen Prozesse der Veränderung zu gehen. Mit Menschen, die Jesus liebt. Lasst uns die Botschaft, die wir haben, nicht verramschen und keine billige Gnade, wie Dietrich Bonhoeffer sie nannte, verscherbeln. Lasst uns das teure und daher unendlich kostbare Evangelium in seiner Reinform weitergeben – und die Lasten, die das mit sich trägt, auf uns nehmen, weil Jesus es wert ist. Er wird dieser Arbeit Kraft verleihen und Menschen zu sich ziehen. Er wird sie wirklich verändern. Lasst uns den Herrn der Ernte bitten, dass er Arbeiter in seine Ernte sende!

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1 Comment

  • Reply ali 23. January 2023 at 3:12

    Das trifft. Danke.

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