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Auf dem Kopf

21. March 2022

In dieser Woche gewann Lia Thomas die US-College-Schwimmmeisterschaften der Frauen über die 500 Yards Freistil mit 1,75 Sekunden Vorsprung vor der Zweitplatzierten Emma Weyant. Das mag zunächst einmal nicht nach einer besonderen Nachricht klingeln, erhält jedoch an Brisanz, wenn man bedenkt, dass Lia Thomas ein Mann ist – eine Transfrau.

Die Frage, die sich unweigerlich stellt, sei diese sehr umfassende Frage mal nur auf sportliche Wettbewerbe eingeschränkt, ist doch die: wie kann es sein, dass offensichtlich jede männliche Person durch die bloße – scheinbar unanfechtbare – Aussage, eigentlich eine Frau zu sein, obwohl biologische Merkmale das Gegenteil bezeugen, an Wettkämpfen für Frauen teilnehmen darf? Physiologische Leistungsmerkmale divergieren nun einmal nicht von der Hand zu weisend zwischen den einzelnen Geschlechtern, und deswegen ist es der einzige richtige Weg, sich voneinander getrennt zu messen – sonst wird ein fairer Wettkampf niemals möglich sein. Gehen wir ein wenig weiter, dorthin, wohin Sportlerinnen typischerweise den Gang vor einem Wettbewerb antreten: wie kann es sein, dass nun auf einmal Männer Zugang zu Umkleideräumen von Frauen erhalten, die eigentlich Schutzzonen für diese sein sollten und sein müssen?

Um zu verstehen, dass das Problem ein noch viel tiefgreifenderes ist und wir uns tatsächlich Sorgen machen müssen – und ich hoffe, das tun wir schon jetzt, ich wünsche mir und bete dafür, dass fruchtbare Debatten entstehen und insbesondere Mädchen und Frauen geschützt werden -, ist es erforderlich, ein klein wenig die Rahmenbedingungen des Transgenderismus zu verstehen.

Wir als Christen glauben daran, dass Gott (als eine externe Instanz, die für uns nicht zu fassen ist und außerhalb von Raum und Zeit stehend einen Plan verfolgt) den Menschen als Mann und Frau, also als klar definierte und unterscheidbare Geschlechter innerhalb festgezurrter und unverrückbarer biologischer Grenzen, geschaffen hat. Für uns ist jedoch auch klar, dass die Welt um uns herum in einem völlig anderen Verständnis des Seins lebt. Während wir fest von einem von außen (konkret durch Gott) hineingelegten Sinn ausgehen (mimetische Weltsicht), so sind viele unserer Mitmenschen und Institutionen davon geprägt, eine poietische Weltanschauung zu leben – Sinn und Ziel sind durch die Individuen selbst festzulegen. Während Christen sich aufgrund dessen dieser größeren Instanz – Gott – unterordnen und von ihm offenbarte Gebote – bezeichnen wir diese als Ethik – adaptieren, die Welt, in der sie leben, also nicht die Notwendigkeit besitzt, sich von innen heraus rechtfertigen zu müssen, wird in der Welt um uns herum nicht länger von einer transzendenten Wahrheit, die für alle gilt, ausgegangen. Der Soziologe Philip Rieff bezeichnet das als “zweite” und “dritte” Welt.

Damit lässt sich der Trangenderismus dann folgendermaßen verstehen: er ist nicht einfach nur eine Verschiebung der Grenzen dessen, was in einer Welt als gut, richtig, angemessen oder vertretbar gälte. Wenn die Grundlage, nämlich die Ordnung, auf der sich die Rechtfertigung dieser Welt gründet und die Existenz einer Transzendenz, die Konsequenzen für die lebenden Individuen hat, verworfen wird, so werden eben jene Grenzen völlig niedergerissen. Um das zu verdeutlichen, sei folgendes Beispiel herangezogen: wenn innerhalb der katholischen Kirche darüber debattiert wird, ob ordinierte Priester heiraten dürfen oder nicht, so ist das die Diskussion innerhalb einer Welt, deren Ordnung sich die einzelnen Meinungsträger verschrieben haben. Sie mögen unterschiedliche Ansichten teilen und womöglich nicht zu einem Konsens kommen, aber sie wissen, wovon sie reden. Es gilt, den bisher stehenden Zaun zu verschieben oder eben nicht. Wenn (und ich möchte es bei dieser wohl aktuellsten Ausgeburt der “dritten Weltanschauung” belassen) darüber diskutiert wird, ob Männer durch das bloße Erklären zur Frau werden können und Gegenmeinungen unter Strafe gestellt werden, dann setzt das voraus, dass die Ordnung, die den Menschen als klar biologische Wesen mit unzweideutiger Geschlechterzuordnung (von Krankheiten abgesehen) definiert (in einer Rieff’schen zweiten Welt ist Gott der Macher dieser Ordnung), von Grund auf abgelehnt und niedergerissen wird.

Die Gefahr, die daraus entsteht, mag noch nicht jedem völlig bewusst sein. Wenn diese Ordnung nicht mehr gilt, sondern als ein Werkzeug der Unterdrückung mit Schimpf und Schande über Bord geworfen wird, dann bleibt die Frage, wer diese Büchse der Pandora wieder schließen wird. Nun mag es aktuell (dem Herrn sei Dank) noch so sein, dass Inzest, Pädophilie und weitere verachtenswerte Neigungen unter Strafe stehen und verfolgt werden. Das erfolgt aber eigentlich ohne existenten begründeten Rahmen, wenn es keine Transzendenz gibt, in der das Verurteilen eines solchen Verhaltens zu begründen wäre. Viele haben versucht, das Naturrecht hierfür heranzuziehen, was aber letztlich zu kurz kommt. Ethik und Moral werden in einer Welt, die keiner Transzendenz unterworfen ist, unweigerlich zu Funktionen persönlicher Meinung – des Geschmacks (Carl R. Trueman weist in seinem großartigen Werk The Rise and Triumph of the Modern Self sehr nachvollziehbar darauf hin). Wer Gott tötet, der tötet zwangsläufig die Ordnung, die sich in ihm begründet, und damit speziell jegliche Sexualmoral. Das jüngste Ergebnis ist der Triumph des Transgenderismus, mit dem Männer in weibliche Domänen eindringen und in der nächsten Zukunft nicht nur für mehr unfaire Wettkämpfe sorgen werden – das Aus der College-Karriere einer aussichtsreichen Schwimmerin, die wieder nur vierte hinter den drei Transfrauen wurde, mag schon hart sein, aber an sich vielleicht keinen bleibenden physischen oder psychischen Schaden anrichten – aber was ist mit den Mädchen und Frauen, denen Männer in Umkleidekabinen und Toiletten folgen? Und was wird die nächste Ausgeburt davon sein? Was wird passieren, wenn plötzlich nicht mehr “nur” die sexuellen Minderheiten, die auf jahrzehnte-, jahrhundertelange Opferrollen der Unterdrückung zurückblicken (alle LGBTQ+ werden als solche angesehen), sondern auch jene, die als diejenigen gelten, die andere ihren Gelüsten „opfern“ (bspw. ein vergewaltigender Pädophiler) und diejenigen, die auf Basis von Konsens bspw. inzestuös sexuell miteinander verkehren, als nur demnach handelnd empfunden werden, was sich für sie richtig anfühlt und man aufgrund dessen zu dem Schluss kommt, dass die Ausübung jeder sexuellen Neigung, als egal wie abscheulich sie heute empfunden wird, nicht mehr zu verfolgen sei, da das Innere über das Äußere siegt? Durch das Verbrennen einer transzendenten Ordnung ist all das leider nicht so abwegig, wie es momentan klingt. Mein Großvater wäre ebenfalls schockiert gewesen, wenn die Rede von Genderfluidität gewesen wäre – hätte er überhaupt verstanden, was sein Gegenüber damit meint.

Denn genau das müssen wir als Christen verstehen: eben weil wir Einwohner unterschiedlicher Welten sind, werden die Argumente, die wir oft hervorbringen, wenn es um diese Themen geht und die jeder in unserer Gemeinde-Bubble versteht, weil unsere Gesprächspartner zumeist ebenfalls der göttlichen Ordnung verschrieben sind (was ich keineswegs in Abrede stellen will, sondern nur darauf hindeuten, dass wir uns das bewusst machen sollten), nicht ankommen. Bürger der zweiten und dritten Welt sind beim Diskutieren über ein solches Thema gar nicht mal nur so gut vergleichbar mit einem Franzosen und einem Chinesen, die ohne Verständnis der Muttersprache des anderen über Schach debattieren sollen, sondern vielleicht eher mit einem Elefanten und einer Banane, die nicht nur nicht verschiedene Sprachen sprechen, sondern zwischen denen es nicht einmal wahrnehmbare Kommunikation geben kann. Zu einem Konsens kann es nicht kommen. Und trotzdem gilt es, nicht tatenlos zuzusehen. Wenn der fehlende gemeinsame Diskussionsrahmen bedeutet, dass wir nicht umfassend zur Sexualmoral der göttlichen Ordnung (ein Mann und eine Frau in einer lebenslangen Ehe; zwischen biologisch klar abgegrenzten Geschlechtern, die gleich viel wert, aber nicht gleich oder austauschbar sind) zurückkehren können, so müssen wir uns (damit meine ich nicht exklusiv Gemeinden, sondern Menschen ganz im Allgemeinen) dafür einsetzen, dass intime Schutzzonen wie Toiletten und Umkleideräume ihren Zweck erfüllen und Transgender gesonderte Räumlichkeiten erhalten. Das ist alternativlos. Selbst innerhalb der LGBTQ+-Szene bewegt sich viel: Feministinnen setzen sich dafür ein, dass Transfrauen bspw. gesonderte Wettkämpfe und Umkleideräume erhalten müssen. Was schnell als “Transphobie” durchgeht, ist bei genauerem Hinsehen eigentlich nur eine logische Schlussfolgerung der wackligen Beine, auf denen der Zusammenschluss aus “LG(B)” und “T(Q)” steht: während die einen ja eine klare Unterscheidung zwischen den Geschlechtern treffen (hier sei insbesondere auf das feministische Argument hingewiesen, Frauen seien seit jeher in unterdrückerischen patriarchalen Strukturen gefangen), scheint für das T Biologie nur ein Vorschlag zu sein, den man nach Gefühlslage überstimmen kann. Es ist also zwangsläufig, dass innerhalb dieser sehr ungewöhnlichen Gemeinschaft (die Opferrolle scheint das einzige Band zu sein) Stimmen gegen den Transgenderismus laut werden, von denen, die “Gender” und “Geschlecht” nicht einfach austauschbar machen wollen und können.

Für uns als Gemeinden ist es wichtig zu verstehen, in welchem Rahmen diese Debatten stattfinden oder in welchem eben nicht. Wir müssen uns die Frage stellen, was es in diesen Zeiten für uns bedeutet, das “Salz der Welt” (Matthäus 5, 13) zu sein – eine durch innere Herzensveränderung vom Heiligen Geist geformte Gemeinschaft, die Werte konserviert, Durst schafft, rein ist, Würze gibt. Über viele Jahrhunderte hinweg haben Kirchen nämlich leider ihre Salzigkeit verloren – zu oft etwas gesagt und anders gelebt. Ich wünsche mir, dass wir zu Orten werden, die für Wahrheit und Liebe stehen, die auf Jesus zeigen, der jeden annimmt und keinen so lassen will, wie er ist. Die denjenigen ihren Freund nennen, der Würde und Ebenbildlichkeit Gottes wiederherstellt, hin zu einem Leben, dass es sich wirklich lohnt zu leben. Die nicht ein der Welt gegenüber gleichgültiges Leben der Absonderung führen (Salz und Licht “der Welt“!), sich mit dem Zeitgeist auseinandersetzen und sich für den Schutz von Mädchen und Frauen einsetzen, für Gerechtigkeit, für Fairness – der Herausforderungen bewusst, und doch liebevoll und tatkräftig.

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