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Aus dem Lot geraten

14. September 2021

Am Ende von Genesis 19 finden wir einen Textabschnitt, der uns sprachlos zurücklässt.

"30 Und Lot zog weg von Zoar und blieb auf dem Gebirge mit seinen beiden Töchtern; denn er fürchtete sich, in Zoar zu bleiben; und so blieb er in einer Höhle mit seinen beiden Töchtern. 31 Da sprach die ältere zu der jüngeren: Unser Vater ist alt und kein Mann ist mehr im Lande, der zu uns eingehen könnte nach aller Welt Weise. 32 So komm, lass uns unserm Vater Wein zu trinken geben und bei ihm schlafen, dass wir uns Nachkommen schaffen von unserm Vater. 33 Da gaben sie ihrem Vater Wein zu trinken in derselben Nacht. Und die erste ging hinein und legte sich zu ihrem Vater; und er ward's nicht gewahr, als sie sich legte noch als sie aufstand. 34 Am Morgen sprach die ältere zu der jüngeren: Siehe, ich habe gestern bei meinem Vater gelegen. Lass uns ihm auch diese Nacht Wein zu trinken geben, dass du hineingehst und dich zu ihm legst, damit wir uns Nachkommen schaffen von unserm Vater. 35 Da gaben sie ihrem Vater auch diese Nacht Wein zu trinken. Und die jüngere machte sich auch auf und legte sich zu ihm; und er ward's nicht gewahr, als sie sich legte noch als sie aufstand. 36 So wurden die beiden Töchter Lots schwanger von ihrem Vater. 37 Und die ältere gebar einen Sohn, den nannte sie Moab. Von dem kommen her die Moabiter bis auf den heutigen Tag. 38 Und die jüngere gebar auch einen Sohn, den nannte sie Ben-Ammi. Von dem kommen her die Ammoniter bis auf den heutigen Tag."

Ich muss zugeben, wenn ich in der Bibel auf Texte wie diesen stoße, kratze ich mir eine Weile den Kopf und weiß dann meist nicht, wie mir geschieht. Ich frage mich oft, warum, wenn man bedenkt, dass der Platz in der Bibel begrenzt ist, solche Geschichten dort erzählt werden. Allein schon Genesis 19 ist voll von Themen, die auf den Leser alarmierend, wenn nicht verstörend wirken müssen. Dort geht es um eine geplante homosexuelle Massenvergewaltigung, die Auslöschung zweier gesamter Städte, die Tötung einer Frau und zum Abschluss auch noch um missbrauchenden Inzest. So sehr uns dieses Kapitel schockiert, ist es aus dem Narrativ der gesamten Bibel nicht wegzudenken und ich möchte ein paar Punkte zeigen, warum das so ist. Ich gehe hier nur auf den oben zitieren Abschnitt ein; das gesamte Kapitel spreche ich in meiner Predigt “Aus dem Lot geraten” an, die du hier ansehen kannst.

Zunächst einmal möchte Mose uns durch die nüchterne Erzählweise aufrütteln und uns zeigen, wozu bestimmtes Verhalten führen und welche Konsequenzen es haben kann. Erstens – der wahrscheinlich offensichtlichste Punkt: übermäßiger Alkoholkonsum bringt nichts Gutes mit sich. Die Bibel zeigt das immer wieder und verlangt von uns, stets mit klarem Kopf und anhand der Schrift unser eigenes Handeln und das unserer Nächsten reflektierend im Licht zu wandeln. Weil Lot das nicht tut, läuft er, ohne es zu merken, in eine große Sünde und ein generationenübergreifendes Problem hinein. Zweitens, Lot agiert ganz und gar nicht wie der liebende Vater und Ehemann, den die Bibel beschreibt. Zum einen war er ohne Skrupel bereit, seine Töchter wie Hundefutter vor die wilde Horde zu werfen (Genesis 19, 8) und zum anderen hat er weder seiner Frau noch seinen Kindern Gott gezeigt. Er hat ihnen seinen Glauben nicht erklärt und ihnen nicht den Schutz und die Führung geboten, die die Schreiber des Alten und Neuen Testaments als für einen treuen, gottesfürchtigen Familienvater unabdingbare Eigenschaften beschreiben. Seine beiden Töchter hätten Lot nach Ehemännern fragen können sollen, er hätte ihnen die Eigenschaften Gottes vor Augen führen und klare Grenzen innerhalb der Familie abstecken sollen, die bestimmtes Verhalten nicht erlauben. Und Mose verurteilt sein Handeln nicht direkt, fordert uns Leser jedoch auf, zu erkennen, warum es falsch ist und diese Folgen mit sich bringt. Aber, drittens, rechtfertigt das Zukurzkommen des Vaters nicht das Sündigen der Kinder. Auch das spricht direkt zu uns. Vielleicht sind wir in Beziehungen, egal ob mit asymmetrischen Machtverhältnissen oder nicht, in denen der andere Part in gewissen Punkten versagt oder sich an uns versündigt. Und wie häufig rechtfertigen wir dann ein vergeltendes Verhalten unsererseits als Reaktion darauf. Genau wie Lot tragen auch seine Töchter Mitschuld daran, dass er gleichzeitig Vater und Großvater der Neugeborenen wird.

Aber – auch wenn es absurd klingt: dieser Text bringt Hoffnung mit. Zum einen ist da die Tatsache, dass Moab und Ben-Ammi gesund auf die Welt kommen und leben dürfen. Leben ist ein Geschenk Gottes, das nie selbstverständlich ist, besonders nicht in dieser Situation. Sie werden erwachsen und im Lauf der Zeit Väter großer und mächtiger Völkern der damaligen Zeit, der Moabiter und der Ammoniter. Und zweitens sollten wir einen genaueren Blick auf Moab richten. Uns wird in der Bibel von einer Moabiterin erzählt, der eine großartige Rolle in der Heilsgeschichte Gottes zuteil wird: Rut. Und diese Frau taucht in Matthäus 1, 5 im Geschlechtsregister unseres Herrn Jesus Christus auf: “Salmon zeugte Boas mit der Rahab. Boas zeugte Obed mit der Rut. Obed zeugte Isai.” Wir können keine Person aus seinem Stammbaum entfernen, ohne dass Jesus am Ende dabei verlorengeht. Rut hatte einen nicht wegzudenkenden Anteil daran, dass Jesus am Kreuz von Golgatha Sühnung für die Welt erwirken konnte. Und das macht Hoffnung. Dieser so schwierige Text, der uns wachrüttelt und uns wichtige Lektionen besonders für das Familienleben beibringt, zeigt uns auch: gib nicht auf. Egal in was für einer Situation du steckt, egal wie verzweifelt du bist und egal wie sicher du dir bist, dass du dieses Mal zu hart versagt hast: es gibt immer einen Grund, nicht aufzuhören zu glauben, aufzustehen und weiterzumachen. Und dieser Grund ist der Gott, der aus Bösem Gutes machen kann. Der verloren Geglaubtes wieder zu neuem Leben erweckt. Der dich wieder aufrichten will, wenn du gefallen und mutlos geworden bist. Der dem einhundertsten Schaf hintergeht, bis er es gefunden und wieder nach Hause gebracht hat.

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