Philemon

Beziehungswandel (Philemon Teil 1)

6. September 2021

Der Grund, warum ich diesen Blog “Philemon” und nicht “Timotheus” oder “Jakobus” genannt habe, liegt darin, dass ich glaube, dass der Philemonbrief viel zu wenig Beachtung findet und gelesen wird. Zwischen den Schwergewichten Titus und Hebräer nimmt er häufig die Rolle der leeren Seite vor dem Roman oder der Tafel über die antiken Gewichte für Weizenmehl ein, die man häufig schnell einfach überblättert. Da dieser winzige, aber großartige Brief jedoch genauso zum Wort Gottes gehört und viel mehr Reichtümer bietet, als man auf (je nach Bibel) ein bis zwei Seiten vermutet, möchte ich ihm daher eine mehrteilige Reihe widmen, in der ich interessante Aspekte des Philemonbriefes zeigen möchte.

Onesimus war ein unnützer Sklave (obwohl sein Name “der Nützliche” bedeutet), der seinem Herrn Philemon entlaufen war. Was auch immer er angestellt hatte, seine neugewonnene Freiheit war nicht von langer Dauer. Er wurde hinter Gitter gebracht und in das Gefängnis gesteckt, in dem gerade ein Mann namens Paulus einsaß. Dieser gewann den flüchtigen Sklaven lieb und erklärte ihm, dass er selbst um seines Glaubens an Jesus Christus willen hier in Ketten lag. Dass er auch ein Sklave war, aber nicht eines irdischen Herren, sondern des Gottes, der die Welt gemacht hat – und er deswegen die größte Freiheit hatte, nämlich die Freiheit von der Sündenlast, die ihn von seinem Schöpfer trennte. Angenommenes Kind und gleichzeitig Sklave – das verstand Onesimus erst im Laufe der Zeit, aber schließlich nahm er diesen Jesus an. Er merkte, dass er, obwohl er Ketten um seine Hände hatte, ein freies Herz hatte.

Dann kam die Zeit, dass Onesimus das Gefängnis verlassen durfte. Eigentlich wollte er gar nicht weg, er wünschte sich, bei dem Mann bleiben zu dürfen, bei dem er echte Freiheit kennengelernt hatte. Aber Paulus wusste, dass der Sklave immer noch seinem Herrn gehörte, der ebenfalls an Jesus glaubte. Und so verfasste er einen kurzen Brief und schickte ihn gemeinsam mit Onesimus nach Korinth.

Im nächsten Beitrag müssen wir unbedingt darüber sprechen, wie die Bibel zu Sklaverei steht. Häufig hört und liest man davon, dass Menschen ein großes Problem damit haben, dass sich die Schreiber des Neuen und des Alten Testaments nicht deutlicher dagegen aussprechen. Es gibt jedoch gute Gründe dafür, warum sie dies nicht tun. Ich werde beim nächsten Mal konkret darauf eingehen. An dieser Stelle soll es aber erstmal genügen zu sagen, dass physische Revolutionen nahezu nie das erreicht haben, was sie wollten, und die Bibel daher auf eine Revolution der Herzen setzt. Und diese ist das große Thema des kleinen Philemonbriefes und eine Wahrheit, die auch in unserem Leben wunderbare Dinge bewirken kann.

Was bewegte also Paulus dazu, den Sklaven zu seinem Herrn zurückzuschicken? Wir müssen uns vor Augen führen: Paulus hätte abertausende alternative Städte gehabt, in die er Onesimus hätte schicken können, aber er wählte den einen Ort, an dem er wieder in der Sklaverei steckte. Mal angenommen, es hätte in der antiken Welt keinerlei rechtliche Verpflichtungen in dieser Hinsicht gegeben. Ein Sklave, der fliehen und jemanden finden konnte, der ihn als normale Arbeitskraft einstellte, wäre fortan frei. Wäre es dann nicht besser gewesen, wenn Paulus Onesimus als Gemeindemitarbeiter nach Ephesus geschickt hätte? Oder als Diakon nach Jerusalem? Was konnte Paulus als so wertvoll befinden, dass es besser für Onesimus war, wieder als Sklave zu leben, obwohl es die Option gab, ein freier Mann zu sein?

Um das zu verstehen, müssen wir begreifen, was passiert, wenn wir zum christlichen Glauben kommen. Wenn Jesus nichts anderes ist als unser Erretter, wenn er nicht mehr tut, als uns von unserer sündigen Vergangenheit zu befreien (das ist natürlich schon begeisternd genug!), dann werden sich unsere Beziehungen zu anderen Menschen, seien sie ebenfalls Nachfolger Christi oder nicht, nicht großartig verändern. Am Beispiel von Philemon und Onesimus stelle ich es mir so vor: nehmen wir einmal an, der Herr hatte seinen Sklaven früher ständig ausgenutzt und geschlagen, worauf dieser mit Hass und gelegentlichen Diebstählen geantwortet hatte. Dann jedoch kamen beide zum Glauben an Jesus Christus. Wenn Jesus nun “nur” Erretter im Leben der beiden wurde, dann würden sie vielleicht beschließen, sich alles Alte zu vergeben und von nun an nicht mehr auszubeuten und zu hassen. Mehr jedoch nicht. Bei vollstem Verständnis des Evangeliums und sauberer Orthodoxie würden die beiden auf Distanz gehen, um sich nicht zu schaden, hätten aber weder die Verpflichtung noch das Verlangen, Freunde oder gar Brüder zu werden. Warum auch?

Jetzt wird es spannend: so ist es nämlich nicht. Evangelium bedeutet, dass Jesus noch viel mehr tut, als uns von alter Sünde zu befreien. Er macht uns Teil von etwas Neuem. Er ist nicht nur unser Erretter, sondern auch unser Herr, der darüber bestimmen möchte, wie wir leben und was wir wollen. Orthodoxie ist mehr als saubere Dogmatik, sondern zusätzlich dazu eine aufrufende Einladung, als Glieder des Leibes der weltweiten Gemeinde fortan liebevolle Beziehungen zu anderen Nachfolgern zu pflegen. Wer sich von anderen Christen entfernt, anstatt ihnen mit einem offenen Herzen zu begegnen, weil er ja jetzt befreit ist, kann jedes Jota von Soteriologie und Ekklesiologie korrekt glauben und wiedergeben und dabei doch völlig am Evangelium vorbeileben. Letztendlich ist dieser Mensch nicht anders als die Pharisäer, die mehr Gesetzte einhielten als das alte Testament niedergeschrieben hatte und dennoch von Jesus als Heuchler bezeichnet wurden. Nein, bei Jesus passiert viel mehr. Gemeinschaft erfordert aber Übung und Überwindung. Wahrscheinlich kannte Onesimus nach der Zeit mit Paulus im Gefängnis die wichtigsten Lehren über Jesus. Aber diese neue Art von Beziehung mit Menschen, mit denen es vorher kompliziert war, musste er noch lernen. Das gleiche gilt auch für Philemon. Und deswegen schickt Paulus ihn zurück nach Korinth. Ein paar Verse, die die Art und Weise beschreiben, wie die veränderte Beziehung aussehen soll, sind es wert, an dieser Stelle notiert zu werden. In den nächsten Beiträgen werde ich noch genauer auf sie eingehen:

  • “… du aber nimm ihn auf wie mein eigenes Herz!” (Philemon 12)
  • “Denn vielleicht ist er darum auf eine kurze Zeit von dir getrennt worden, damit du ihn auf ewig besitzen sollst, nicht mehr als einen Sklaven, sondern, was besser ist als ein Sklave, als einen geliebten Bruder, besonders für mich, wie viel mehr aber für dich, sowohl im Fleisch als auch im Herrn.” (Philemon 15-16)
  • “Wenn du mich nun für deinen Freund hältst, so nimm ihn auf wie mich selbst.” (Philemon 17)

Begeisternd, oder? Hier findet etwas großartiges statt. Aus einem entlaufenen Sklaven wird plötzlich ein angenommener Bruder, der den gleichen Stellenwert bekommt wie der Apostel Paulus. Das Wesen dieser neuen Beziehung und die Bedeutung für uns heute zu entdecken, wird Mittelpunkt dieser Reihe.

No Comments

Leave a Reply

Send this to a friend