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Der Himmel über dem Kornfeld

28. February 2022

Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ (Johannes 14, 1) ‭- das war eines der letzten Worte, die Jesus an seine Jünger richtete, bevor er, der Sohn Gottes, sich verraten, bespuckt, ausgepeitscht und verhöhnt an ein Kreuz nageln ließ, fürwahr, um unsere Krankheit zu tragen und unsere Schmerzen auf sich zu laden. Während es in erster Linie ein tröstender Zuspruch für seine ängstlichen und ahnungslosen Nachfolger war, ist es in viel mächtigerer Art und Weise auch für unsere aufgeschreckten und ermatteten Herzen ein leises und hell leuchtendes Wort inmitten lauter und dunkler Tage, weil wir anders als die Jünger zu dem Zeitpunkt aufblicken dürfen auf das vollbrachte Werk von Gottes vollkommener und überflutender Gnade. 
Ich möchte mich zurückhalten und nicht politisch auf die Ereignisse in der Ukraine blicken, sondern vier entscheidende Punkte nennen, die uns helfen sollen, die herzzerreißenden und zutiefst erschütternden Ereignisse in unseren Gedanken, Gesprächen und Gebeten besser reflektieren und einordnen zu können – immer mit zugleich berührten und mitfühlenden, aber auch mithoffenden und vertrauensvollen Herzen.

Das Böse böse nennen

Es beschämt mich zutiefst, wenn bekennende Christen sich mit aller Kraft darum winden, das abgrundtief böse und aufs Schärfste zu verurteilende Verhalten des russischen Präsidenten nicht mit aller Bestimmtheit böse nennen. Wer einen Angriffskrieg auf ein souveränes Land nicht als tiefste Niedertracht bezeichnet und klar als großes, großes Übel benennt, macht sich schuldig. Ich muss an Jesus denken, der nie gescheut hat, das Böse als solches zu bezeichnen und eine klare Linie zu ziehen. Ich sage nicht, dass wir Menschen gehässig und feindschaftlich entgegentreten sollten, im Gegenteil. So wie Jesus bei seinem scharfen und einschneidenden Urteil beispielsweise bei der Tempelreinigung gleichzeitig  das perfekte Vorbild von ungeheuchelter Nächstenliebe auch den blutrünstigsten und bösartigsten Feinden gegenüber war, sollten wir andere Sünder lieben, so schwer das fallen mag – die Sünde jedoch verurteilen und uns klar distanzieren von menschenrechtsverletzender Gewalt und mit nichts zu rechtfertigenden Kriegsverbrechen, anstatt zaghaft und verständnisvoll nach Erklärungen zu suchen. Wir sollten uns vielmehr bewusst machen, dass die Welt, in der wir leben, bis auf die Wurzeln kaputt ist und einen Erlöser braucht. Wir sollten uns nicht wundern und überrascht sein, wenn furchtbare Ereignisse über uns hereinbrechen: „Wenn ihr aber von Kriegen und Kriegsgeschrei hören werdet, so erschreckt nicht; denn es muss geschehen, aber es ist noch nicht das Ende. Denn ein Heidenvolk wird sich gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es wird hier und dort Erdbeben geben, und Hungersnöte und Unruhen werden geschehen. Das sind die Anfänge der Wehen“ ‭‭(Markus 13, 7-8). Wie Jesus nichts beschönigte, sollten wir uns klar machen: wir gehören nicht hier her, das ist nicht der Ort, für den wir bestimmt sind. Kriege sind eine nüchtern und wach machende Mahnung genau dafür. 

Die Souveränität unseres Gottes

Im selben Atemzug dürfen wir uns – vielleicht entgegen unserer gerade aufgewühlten Gefühlslage – bewusst machen, dass Gott alles in seiner Hand hält und nie die Kontrolle über die Geschehnisse dieser Weltzeiten verloren hat. Psalm 42 erinnert uns: „Warum toben die Heiden und ersinnen die Völker Nichtiges? Die Könige der Erde lehnen sich auf, und die Fürsten verabreden sich gegen den Herrn und gegen seinen Gesalbten: Der im Himmel thront, lacht; der Herr spottet über sie.“ Nein, ich verstehe nicht, warum Menschen auf brutale und niederträchtige Art und Weise mitten aus dem Leben gerissen, warum herzzerreißende Geschichten von Müttern, deren Kinder ihr entrissen wurden, geschrieben werden müssen, warum es Bilder von niedergebrannten Häusern und durchlöcherten Schutzwesten geben muss – aber ich weiß, tief in mir, während jede meiner Fasern sich mit Schaudern und Gänsehaut von dem Gedanken abwenden will, dass in all dem ein mir schlichtweg durch den Nebel und die Rauchschwaden unsichtbarer und verborgener Sinn liegt, den nur mein allmächtiger und liebender Vater im Himmel kennt, und dass er souverän seine Geschichte schreibt, in die ich das unverständliche Zeitgeschehen und mein kleines unbedeutendes Leben einordnend einen kleinen Halm der Hoffnung finden kann. Menschlich gesehen sind die Putins dieser Welt übermächtig und ängstigend, in Perspektive zu dem Gott gesetzt, der außerhalb von Raum und Zeit existiert und doch jedes Haar auf jedem Haupt in seiner Zusammensetzung gebildet und eingepflanzt hat, der für jedes seiner geliebten Kinder das Beste wissend seinen Plan verfolgt, verlieren sie jede Bedeutung, jeden Schrecken, jegliche Möglichkeit, neben dem sterblichen Leib die Verheißung auf ewiges Leben anzutasten, für die er das Kostbarste, was er besitzt, zerschlagen hat. 1742 schrieb Christian Friedrich Richter ein Lied, das in fremd anmutender Sprache, aber doch so wunderbar unsere Hoffnung aufs Papier bringt: „Kein Elend kann nun unserm Herzen schaden, Immanuel ist bei uns in der Not. Ich gehe nur zu ihm, dem Quell der Gnaden, so dient mir selbst das Elend und der Tod; der Jammer hängt mir zwar noch an, der mir in Christus doch nicht schädlich werden kann.“ Lasst uns mit ihm einstimmen, wenn Nachrichten und Sorgen wie erdrückende Wellen unsere Herzen scheinbar ertränken – unser Gott hat die Welt in seiner Hand. Bei ihm gibt es vollkommene Gerechtigkeit, die, die sein erlösendes Vergebungswerk nicht annehmen, werden nicht davonkommen und ein gerechtes, ewiges und schreckliches Gericht erhalten, während seine Kinder in seine Herrlichkeit eingehen werden, wo jede Träne abgewischt und nichts mehr sichtbar sein wird außer die Schönheit unseren Herrn Jesus: „Und er wird das Urteil sprechen zwischen großen Völkern und starke Nationen zurechtweisen, die weit weg wohnen, sodass sie ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden und ihre Spieße zu Rebmessern; kein Volk wird gegen das andere ein Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr erlernen; sondern jedermann wird unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum sitzen, und niemand wird ihn aufschrecken; denn der Mund des Herrn der Heerscharen hat es geredet!” (Micha 4, 3-4). 

Die Macht von Anbetung

Die Bilder und Videos, die mich am meisten bewegen, sind die von kleinen Gruppen von Menschen, die mitten im zerbombten Stadtzentrum oder in der überfüllten Metrostation auf Knien Gott anflehen oder laut Anbetunglieder singen, in völlig unwirklicher Umgebung ein Bild unerschütterlichen Gottvertrauens und ermüdeter und doch nicht totzukriegender Hoffnung darstellen. Wie häufig ertappen wir uns dabei, zuerst zu verzagen, dann hektisch nach Lösungen zu suchen, die nicht zu finden sind, und irgendwann am Ende des Tages haben wir völlig vergessen, zu beten. Dabei sollten wir uns tief und überzeugt bewusst darüber werden, wer auf unserer Seite ist, wie uns der Psalmist in Psalm 46 so eindrucksvoll zeigt: „Gott ist unsere Zuflucht und Stärke, ein Helfer, bewährt in Nöten. Darum fürchten wir uns nicht, wenn auch die Erde umgekehrt wird und die Berge mitten ins Meer sinken, wenn auch seine Wasser wüten und schäumen und die Berge zittern vor seinem Ungestüm.“ Das wird unsere Perspektive völlig neu formen und uns ins Gebet treiben, nicht als letztes Mittel der Machtlosigkeit, um wenigstens irgendwas zu machen, sondern es wird unser erster Gedanke werden, den Herrn der Welt, der gleichzeitig gnädig und unendlich barmherzig ist, darum zu bitten, die erbarmungslosen Mächtigen der Welt zu stoppen, den schwachen Starken an den Verhandlungstischen Weisheit zu geben, den Hungernden, Dürstenden, Verängstigten und Schutzlosen in Liebe zu begegnen und seine Hand über sie zu halten. Ronald Reagan soll einmal folgendes Zitat gebracht haben: „Die Weltgeschichte wird nicht in Washington entschieden, auch nicht in Moskau, sondern da, wo Menschen zum Gebet ihre Hände falten – da wird Weltgeschichte entschieden.

Bleibendes Zeugnis

Es sorgt jedes Mal für Gänsehaut auf meiner Haut, den Bericht von Vasyl Ostryi zu lesen. Er ist Pastor in der Irpin Bible Church in Kyiv und erzählt hautnah davon, wie Christen die Situation in ihrem Land gerade erleben. Er berichtet als Familienvater von seiner Angst um seine Frau und seine vier Töchter, die auch zwischen den Zeilen zu spüren ist, wie sie sich jedoch gemeinsam entschieden haben, zu bleiben, egal was passiert, denn er ist überzeugt: „Auch wenn die Kirche nicht so kämpft wie die Nation, glauben wir doch, dass wir in diesem Kampf eine Rolle zu spielen haben.“ Ostryi erinnert sich an das Jahr 2014, in dem viele Menschen gegen das autoritäre Regime von Wiktor Janukowytsch auf die Straße gegangen sind. Viele Gemeinde haben sich damals zurückgehalten und das Problem ignoriert oder die Demonstranten sogar kritisiert – während diese Gemeinden stark an Anerkennung in der Gesellschaft eingebüßt haben und kaum mehr Menschen erreichen, genießen die Gemeinden, die sich für das Volk und eine demokratisch gewählte Regierung eingesetzt haben, hohen Stellenwert unter den Leuten. Genau deswegen will er bleiben: „Wir haben beschlossen zu bleiben, sowohl als Familie als auch als Kirche. Wenn dies vorbei ist, werden sich die Bürger von Kyiv daran erinnern, wie die Christen in der Zeit der Not reagiert haben.“ Das Zeugnis für Jesus ist ihm und seiner Familie wichtiger als die eigene Sicherheit, ja wichtiger als das eigene Leben. Ich musste an Paulus denken, der felsenfest sagen konnte: „Denn für mich ist Christus das Leben, und das Sterben ein Gewinn“ (‭Philipper 1, 21). Angetrieben von dem tiefen inneren Wunsch, Christus in seinem Tod gleichgestaltet zu sein (Philipper 3, 10) und in die Herrlichkeit mit ihm einzugehen, wollte er jedoch lieber ein Diener und ein Zeugnis für seinen Gott sein: „Denn ich werde von beidem bedrängt: Mich verlangt danach, aufzubrechen und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre; aber es ist nötiger, im Fleisch zu bleiben um euretwillen“‭‭ (Philipper 1, 23-24). Es begeistert und ermutigt mich mit Tränen der Freude, wenn Menschen sich selbst für Nichts erachten und das Wohl der anderen über ihr eigenes setzen, weil sie Salz und Licht der Erde sein wollen und dafür leben, dass Menschen Jesus kennenlernen. Wir sehen das gerade in der Ukraine auf so vielfältige und unglaublich starke Art und Weise. Und auch wir haben in unserer Reaktion einen großen Handlungsspielraum: wir können diejenigen sein, die den Verantwortlichen laut den Tod wünschen, wenn in der Mittagspause ein Bericht über eine Eroberung im Fernsehen läuft. Wir können diejenigen sein, die Panik und hoffnungslose Todesangst verbreiten und den nahe bevorstehenden Dritten Weltkrieg ausrufen, wenn neue Panzer die Grenze überschreiten und Sanktionen nicht greifen. Wir können diejenigen sein, die vorschnell ungeprüft oder bewusst unwahre Information verbreiten, wenn der Telegram-Kanal eine neue Schreckensmeldung hervorbringt. Wir können diejenigen sein, die – das Böse böse nennend,  besorgt und voller Mitgefühl – eine Einstellung leben, die nach außen hin zeigt, dass wir an einen souveränen Gott glauben, der auch schreckliche Geschehnisse kontrolliert und dem wir uns anvertrauen dürfen, weil es ihm nicht egal ist, was mit seiner Schöpfung passiert, ganz im Gegenteil. Wir können diejenigen sein, die nicht verfluchen, sondern den furchteinflößenden Unterdrückern Buße wünschen. Wir können diejenigen sein, die nicht mit Verzagen, sondern mit Hoffnung reagieren. Wir können diejenigen sein, die nicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, sondern sie auf den Knien stehend falten und Gott um Gnade, Bewahrung und Wiederherstellung für Liebe und Fremde anflehen. Wir können diejenigen sein, die nicht vor dem nächsten Diktator warnen, der den Leib töten kann, und niedergeschmettert in bitterem Sarkasmus auf die Ausweglosigkeit hinweisen, sondern von dem erzählen, „der Seele und Leib verderben kann in der Hölle“ (Matthäus 10, 28), der die Welt aber auch “so sehr (..) geliebt (hat), dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe” (Johannes 3, 16). 

Ich wünsche mir von Herzen, dass diese Wahrheiten unser Herz, unsere Gedanken und unser Handeln beeinflussen, wenn wir Berichte aus der Ukraine hören, darüber nachdenken und mit anderen sprechen. Lasst uns ohne Unterlass im Gebet für unsere Geschwister und das Land, dessen Zukunft so ungewiss ist, einstehen, bei dem Gott, dessen Sieg ohne Zweifel ist.

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1 Comment

  • Reply Sergej Pauli 28. February 2022 at 12:50

    Für mich ist es auch eine Neuentdeckung von etwas eigentlich bekanntem gewesen, dass das geistliche Leben Ukraines vor allem auf dem Wirken durch Evangeliumschristen geprägt ist. was eine Ermutigugn ist

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