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Sind wir Christen wirklich Feinde der Religionsfreiheit? – Eine Antwort auf Dr. John MacArthur

14. January 2022

In dieser Woche ging ein Clip aus einer Predigt von John MacArthur viral, indem er Religionsfreiheit als Unsinn (nonsense) bezeichnet und unter frenetischem Applaus der Grace Community Church ausruft, dass Christen “für Wahrheit stehen” (we stand for the truth). Ich möchte vorneweg sagen, dass ich John MacArthur und seine Arbeit, seine Studienbibel, Bücher und sonstigen Ressourcen sehr schätze (meine Jugendgruppe wird bestätigen, dass ich ihn gerne zitiere) und dass nachfolgende kritische Beleuchtung dieser einen Aussage insofern unvollständig ist, dass ich nicht die jahrelange Arbeit von Dr. MacArthur in ihrer Gesamtheit zur Untersuchung dieses konkreten Ausschnitts anwenden kann und werde. Vielmehr möchte ich eine Antwort darauf geben und sie aus einem unqualifizierten Standpunkt heraus begründen, um zum Nachdenken und zur Diskussion einzuladen.

Seit jeher waren Christen Verteidiger der Religionsfreiheit. In ihrem Glaubensbekenntnis, der Baptist Faith and Message, schreibt die Denomination der Südlichen Baptisten (Southern Baptist Convention) 1963: “Kirche und Staat sollten getrennt sein. Der Staat schuldet jeder Kirche Schutz und volle Freiheit bei der Verfolgung ihrer geistlichen Ziele. Bei der Gewährleistung dieser Freiheit sollte keine kirchliche Gruppe oder Konfession vom Staat mehr bevorzugt werden als andere.” Thomas Helwys, einer der Gründer der Baptisten und Pionier der Religionsfreiheit, sagte: “Seien sie nun Irrlehrer, Türken, Juden oder was auch immer, es steht der irdischen Macht nicht zu, sie auch nur im geringsten zu bestrafen.”

Dies entspricht den Worten Jesu, der in Matthäus 22 den für das brodelnde Spannungsfeld Israel im 1. Jahrhundert mehr als ungewöhnlichen Aufruf an das Volk richtete, “dem Kaiser was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist” zu geben – und das, obwohl nicht wenige der Meinung waren, die augenscheinlich götzenbildnerische Darstellung des römischen Gottkaisers auf den Steuermünzen würde das Entrichten der Abgaben für einen rechtgläubigen Juden unmöglich machen. Im Jahr 2016 hagelte es an Kritik für Dr. Russell Moore, da er sich im Rahmen der damals von ihm geleiteten Ethik- und Religionsfreiheitskommission ERLC der Südlichen Baptisten (Ethics & Religious Liberty Commission) für eine Gruppe muslimischer Gläubiger eingesetzt hatte, denen es verweigert worden war, eine Moschee in ihrer Stadt zu errichten. John Wofford, ein Pastor aus Arkansas, hatte Dr. Moore daraufhin beim Annual Meeting, der Jahreshauptversammlung der Southern Baptists gefragt, wie jemand in der SBC das Recht der Muslime verteidigen könne, “in den Vereinigten Staaten Moscheen zu bauen, wenn diese Leute unsere Existenz als Christen in Amerika bedrohen” und ob Jesus “das Recht der Baalsanbeter, Baal-Tempel zu errichten” unterstützt hätte. Moore antwortete, dass “Seelenfreiheit für alle” ein Charakteristikum der Baptisten sei und argumentierte, dass eine Regierung, die entscheide, “ob ein Gotteshaus auf der Grundlage der theologischen Überzeugungen dieses Gotteshauses gebaut werden kann oder nicht”, bedeute, dass Südbaptistengemeinden in San Francisco und New York und im ganzen Land nicht mehr gebaut werden können“.

Russell Moore spricht damit einen wichtigen Punkt an: auch wir als Christen sind Profiteure der Religionsfreiheit (in vielen Teilen der Welt). Häufig, so habe ich das Gefühl, wird missachtet, dass das Reich Gottes erst zu einem nur Gott bekannten Zeitpunkt in der Zukunft alles überstrahlen und einnehmen wird und erst dann Sünde (und damit alle vom Satan eingesetzten Waffen, also auch falsche Religionen) in der Herrlichkeit nicht mehr existieren wird.

Ein Satz aus der Baptist Faith and Message fällt mir besonders auf, ich habe lange darüber nachgedacht: Die Kirche sollte nicht auf die zivile Macht zurückgreifen, um ihr Werk zu vollbringen. Das Evangelium Christi sieht allein geistliche Mittel für die Verfolgung seiner Ziele vor. Wenn wir das staatlich garantierte Recht der Religionsfreiheit als unsinnig bezeichnen, entfernen wir uns dann nicht zumindest gedanklich einen ersten Schritt von einer rein geistlichen Art, für Gott und sein Reich zu kämpfen, hin zu einem Bedienen an staatlicher Unterstützung? Wir stehen für die Wahrheit – ohne Frage, aber benötigt diese Wahrheit das Unterdrücken von dem, was von anderen Menschen als Wahrheit anerkannt und geglaubt wird, oder ist der Weg von Jesus nicht immer der der Törichten, der scheinbar Hilf- und Machtlosen gewesen? Der Weg, der sich im Kleinen in die Herzen der Menschen gebahnt und ohne das Zutun von Menschen Frucht gebracht hat? Ich denke an die Briefe, in denen Paulus den Sklaven die Anweisung gibt, sich ihren Herren gegenüber gehorsam und untadelig zu verhalten, weil die Art und Weise, wie Gott die Welt verändert, nicht in Aufständen und Umstürzen besteht. Nein, Gott braucht auch keine gottesfürchtigen Theokratien, in denen es keine Alternative zu ihm gibt – er pflanzt seinen Samen in Menschen, gibt ihnen ein Herz aus Fleisch und schreibt seine Gebote hinein. Veränderung zuerst von innen.

Die Ironie ist doch diese: machen wir auf diese Art und Weise, die Religionsfreiheit als Unsinn bezeichnet, nicht das Evangelium klein, sprechen wir ihm nicht die Macht ab, die Herzen von Menschen zu ergreifen und zu verändern, obwohl es für diese auch andere Religionen zur Auswahl gäbe? Ist unsere Heilsbotschaft, die gute Nachricht der Bibel, so schwach, dass wir uns nach einem Ein-Religionen-Staat sehnen müssen, um effektiv evangelisieren zu können? Lassen wir wirklich eine “diese andere Religion x verführt so viele Leute und bringt unser Standing als Christen in diesem Land in Gefahr”-Einstellung unsere Nächstenliebe in angewidertes Ablehnen verwandeln? Ich sehe nach Nordkorea, wo es weniger als keine Motivation für Menschen gibt, sich zu bekehren und Christen zu werden – hätte die Botschaft der Bibel nicht Kraft, die lieber in den Tod gehen als im bisherigen Zustand bleiben lässt. Benötigen wir da wirklich eine Alternativlosigkeit, was Religion angeht?

Jesus war “nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel” – es war “nicht recht, dass man das Brot der Kinder nimmt und es den Hunden vorwirft” (Matthäus 15, 24.26). Der Plan Gottes war es jedoch, nur kurze Zeit darauf Tausende und Abertausende Heiden (Götzenanbeter) zu sich zu ziehen – nicht durch einen Staat, der ihnen keine Wahl ließ, sondern durch das treue Predigen des Evangeliums. “Als sie aber das hörten, drang es ihnen durchs Herz, und sie sprachen zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, ihr Männer und Brüder?” (Apostelgeschichte 2, 37) Nicht, als man ihnen verbot, sich weiter zu versammeln, nicht, als man die Mittel kürzte, um das Bauen einer Moschee unmöglich zu machen, nicht, als man ihnen die traditionelle Kleiderordnung untersagte.

Es stimmt: christliche Werte, die in unserer Gesellschaft vorhanden sind, sind zu schützen und zu bewahren, keine Frage. Aber in allen Teilen der Welt und zu allen Zeiten waren Christen Verteidiger der Religionsfreiheit. Sie ist fest verankert in den Glaubensbekenntnissen der großen und kleinen Denominationen und Menschen nahmen vieles in Kauf, um sie zu schützen. Das Evangelium braucht keine staatliche Unterstützung, um ungehindert in die Herzen vorzudringen und Männer und Frauen zu erretten und neu zu schaffen. Uns Christen sollte konstruktives Verhalten durch liebevolles Weitergeben des Wortes “vom Kreuz” ausmachen, das “eine Torheit denen [ist], die verlorengehen; uns aber, die wir gerettet werden, [..] eine Gotteskraft” (1. Korinther 1, 18), nicht destruktives, spaltendes Reden.

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1 Comment

  • Reply brink4u 14. January 2022 at 21:59

    Nice Young man – noch ein paar mehrZitate aus den Bekenntnissen:

    „ Sie ist fest verankert in den Glaubensbekenntnissen der großen und kleinen Denominationen“
    ☺️

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