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Weihnachten in der Bibel verbinden wir meist wahrscheinlich vor allem mit Betlehem, mit dem Stall, mit dem Stern, vielleicht auch mit Jerusalem oder Nazareth. Aber wer von euch denkt bei der biblischen Weihnachtsgeschichte an die Stadt Rama? Vermutlich keiner, oder? Dabei wird diese Stadt konkret im Zusammenhang mit der Geburt von Jesus erwähnt – und obwohl die Geschichte eine sehr traurige ist und wahrscheinlich so gar nicht in unsere Vorstellung von Weihnachten passt, ist es eine Geschichte der Hoffnung, eine, an der die wirkliche Bedeutung des Festes deutlich wird. Als sich nun Herodes von den Weisen betrogen sah, wurde er sehr zornig, sandte hin und ließ alle Knaben töten, die in Bethlehem und in seinem ganzen Gebiet waren, von zwei Jahren und darunter, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erforscht hatte. Da wurde erfüllt, was durch den Propheten Jeremia gesagt ist, der spricht: »Eine Stimme ist in Rama gehört worden, viel Jammern, Weinen und Klagen; Rahel beweint ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, weil sie nicht mehr sind« (Matthäus 2, 16-18).
Was für eine grausame Geschichte. Betlehem hatte zu diesem Zeitpunkt vermutlich 2000 Einwohner, daher kann man die Anzahl der getöteten Jungen wohl auf etwa 20-30 schätzen (siehe P. Ryken in seinem Jeremia-Kommentar). Das Wehklagen und die Trauer der bethlehemitischen Mütter klingt in unseren Ohren so ganz anders als die friedliche Weihnachtsmusik und das freudige Kinderlachen in den schön geschmückten Häusern. Die Freude von Maria über das neugeborene Kind trifft hart auf die Trauer von Rahel über die neugeborenen Kinder. Während die eine vor Freude nicht zum Schweigen zu bringen ist, lässt sich die andere nicht trösten. Ein Kontrast, der uns unsicher macht. Vielleicht – sogar zu Recht – fragst du dich, warum ich ausgerechnet diesen Text für die Weihnachtspredigt ausgesucht habe. Feiern wir nicht ein Fest der Freude? Bist du verrückt? Das passt doch gar nicht!
Matthäus ist der einzige Evangelist, der diese schaurige Geschichte aufschreibt. Warum ist ihm das wichtig? Scheinbar sofort, nachdem die Meldung aus Bethlehem eingetroffen ist, muss er an einen Gedanken aus dem Propheten Jeremia denken: So spricht der HERR: Eine Stimme wird in Rama gehört, bitterliches Klagen und Weinen: Rahel beweint ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen wegen ihrer Kinder, weil sie nicht mehr sind! (Jeremia 31, 15). Um verstehen zu können, warum Matthäus ganz bewusst dieses Geschehnis aufschreibt und für seine Leser mit dem Vers aus dem Propheten verbindet, müssen wir zunächst zwei Dinge klären: wer war Rahel? Und warum weint sie?
Die historische Rahel war die Frau von Jakob, dem Enkelsohn von Abraham. In Genesis 35 lesen wir davon, dass die Familie unterwegs ist von Bethel nach Bethlehem. In Rama, einer kleinen Stadt nur wenige Kilometer vom Zielort entfernt, müssen sie Rast einlegen, da Rahel in den Wehen liegt – in sehr schweren. Sie überlebt die Geburt des Sohnes Benjamin nicht. Eine Stimme wird in Rama gehört, bitterliches Klagen und Weinen. Außerdem liegt Bethlehem im späteren Gebiet von Ephraim – einem Nachkommen von Rahel. Sie steht damit stellvertretend für alle Mütter dieser Region und insbesondere der Stadt Bethlehem. Und damit wir nachvollziehen können, warum die traurige Nachricht aus Jeremia 31 und Matthäus 2 eigentlich eine gute ist, müssen wir zunächst verstehen, was Rahel verloren hat.
Der Verlust von Rahel
Jeremia weist uns ein paar Kapitel später darauf hin, warum Rama ganz besonders ein tragischer Ort ist: als Babylon über Israel siegte, wurde Rama zu so etwas wie einem Transitlager. Von dort wurden tausende und abertausende Israeliten in Ketten ins Exil geführt. Rama wurde zu einem Zeichen dafür, dass man nicht mehr frei, sondern gefangen war. Ein Symbol dafür, dass man nicht länger in der Nähe von Gottes Tempel war, sondern in einem fernen Land – scheinbar fernab und getrennt vom Angesicht Gottes. Rama war ein Ort der Verzweiflung – ein Ort von Weinen und Wehklagen. Gemeinschaft mit Gott war vorbei, an ein Leben in Freiheit und Anbetung war nicht mehr zu denken. Rama wurde wie der Engel mit dem flammenden Schwert am Tor zum Paradies zum Symbol für den Ungehorsam gegenüber Gott und die unweigerliche Folge, dass sich niemand mehr zu ihm nahen kann. Das ist der Grund, warum Rahel weint. Menschen befinden sich im Exil, außerhalb des Paradieses, unüberwindbar getrennt von Gott, mit belasteten und verkehrten Herzen, die nicht die Ehre Gottes suchen.
Die Ausgangslage ist also denkbar erdrückend. Aber wenn Weihnachten ein Fest der Freude ist – und das ist es – warum wählt Matthäus die Verbindung zu Jeremia 31?
Weihnachten bedeutet Trauer…
In Jeremia 31, 16-17 lesen wir die Worte der Hoffnung, die Gott an die weinende Rahel richtet: Halte deine Stimme zurück vom Weinen und deine Augen von Tränen! Denn es gibt noch einen Lohn für deine Mühe, spricht der HERR; denn sie sollen aus dem Land des Feindes zurückkehren. Ja, es gibt Hoffnung für deine Zukunft, spricht der HERR, und deine Kinder werden in ihr Gebiet zurückkehren! Doch bevor wir uns damit beschäftigen, müssen wir kurz stehen bleiben und überlegen: aber waren die Israeliten zum Zeitpunkt von Jesu Geburt nicht schon wieder zurück in ihrem Heimatland Israel? Ist diese Prophezeiung von Gott nicht schon längst erfüllt? Warum weint Rahel noch immer?
Ich glaube, dass Matthäus bewusst diesen Gedanken aus Jeremia aufschreibt, um seinen Lesern bewusst zu machen: Ja, es sind keine Ketten mehr an euren Händen. Ja, ihr seid wieder daheim in Jerusalem. Ja, ihr habt wieder Zugang zum Tempel. Aber: Rahel weint trotzdem noch immer über euch. Körperlich seid ihr wieder zuhause, aber eigentlich seid ihr immer noch genauso im Exil. Die Sünde, die euch von Gott trennt, ist immer noch da. Ohne einen, der euch wieder vereint mit Gott, bleibt ihr im Exil – fern von seinem Angesicht, immer noch mit Ketten gebunden.
Andrew Peterson hat das in seinem Lied “Deliver Us” wunderbar formuliert: „Unser Feind, unser Geiselnehmer ist kein Pharao am Nil. Unsere Mühsal ist weder Schlamm noch Ziegel noch Sand. Unsere Knöchel tragen keine Schwielen von Ketten, doch Herr, wir sind gefesselt – Hier gefangen, wohnen wir in unserem eigenen Land. Unsere Sünden sind zahlreicher als alle Lämmer, die wir schlachten. Unsere Fesseln wurden mit unseren eigenen Händen gemacht“.
Und vielleicht feiern wir Weihnachten genau mit der falschen Einstellung. Die Weihnachtsstimmung suggeriert eine heile Welt, in der alles in Ordnung ist. Wir finden die Geschichte von der trauernden Rahel unpassend, weil wir selbst nicht über die Trennung von Gott weinen, über Sünde wehklagen, anerkennen, dass wir uns geistlich im Exil befinden. Werfen wir mal einen kurzen Blick auf eine Gruppe von Personen in der Weihnachtsgeschichte, die genau mit dieser Einstellung auf Weihnachten gewartet haben. Matthäus 2, 4-6 erzählt uns davon, dass die Schriftgelehrten davon hören, dass ein Kind geboren wird, auf das die Beschreibung im Propheten Micha wie die Faust aufs Auge passt. Und was tun sie? Gehen sie hin, weil sie über den gottfernen und kaputten Zustand der Welt und ihrer eigenen Seelen trauern? Freuen sie sich aufgeregt, weil es scheint, als würden sie endlich getröstet werden? Als würde Rama endlich Bethlehem werden? Sie tun gar nichts. Dieses Neugeborene ist absolut gleichgültig. Und weißt du warum? Weil sie meinen, kein Kind zu brauchen. Wenn, dann brauchen wir einen, der mit dem Schwert kommt, um die Römer zu beseitigen – aber ansonsten hat sich Gottes Prophezeiung schon erfüllt. Wir sind wieder daheim. Ein Kind? Das kann uns nicht helfen.
Und die Frage, die wir uns stellen müssen, ist die: begegnen wir Jesus genauso gleichgültig, wie die Pharisäer in Matthäus 2, weil wir glauben, dass alles okay ist? Ich glaube, dass der Grund, warum echte Weihnachtsfreude in unserer Welt fehlt, der ist, dass in der Weihnachtsgeschichte Rama keinen Platz hat. Weihnachten ist in unserer Umgebung ein schönes Extra, dass es aber eigentlich gar nicht braucht. Man freut sich, dass man gutes Essen und Zeit mit der Familie hat, aber wenn es Weihnachten nicht gäbe, würde man es auch nicht vermissen. Letztlich ist Anfang Januar wieder alles so wie Ende November. Die Lichter werden wieder abgehängt und alles ist genauso in Ordnung wie auch schon vorher. Veränderung hat nicht stattgefunden, aber wer hat die auch benötigt?
Wenn wir mit Gänsehaut an der verstörenden Geschichte der trauernden Rahel stehenbleiben, dann sollten wir uns klarmachen, dass Jesus nicht in eine heile Welt kam, die auch ohne ihn ausgekommen wäre. Vor Weihnachten war Nacht. Und wäre Jesus nicht gekommen, wäre es immer noch dunkel. Und Rahel würde noch immer weinen.
Ja, Weihnachten ist auch ein Fest der Trauer. Trauer über Sünde und Trennung von Gott. Denn nur wenn wir erst darüber weinen, werden wir von Jesus getröstet werden können. Nur dann ist die Geburt von Jesus wirklich eine Nachricht, die die Welt verändert.
… und ist gleichzeitig ein Fest ewiger Freude
Weihnachten ist also erstmal eine Geschichte der Trauer. Aber dort wo Tränen über die Zerbrochenheit und die verlorene Beziehung zu Gott herrscht, da spricht Gott die Verse, die wir grade schon einmal gelesen haben und die zur Zeit von Jesus und heute Sinn ergeben, wenn wir verstanden haben, aus welchem Exil wir zurückkehren müssen (Jer. 31, 16-17): „So spricht der HERR: Halte deine Stimme zurück vom Weinen und deine Augen von Tränen! Denn es gibt noch einen Lohn für deine Mühe, spricht der HERR; denn sie sollen aus dem Land des Feindes zurückkehren. Ja, es gibt Hoffnung für deine Zukunft, spricht der HERR, und deine Kinder werden in ihr Gebiet zurückkehren!“
Er verspricht an Weihnachten: es ist gut, dass du verstanden hast, wo du dich befindest, und dass du traurig bist – es gibt Hoffnung! Das Exil ist jetzt vorbei! Aber wie? Er erklärt es ganz besonders in zwei Versen (Jer. 30, 21-22): „Und ihr Fürst wird aus ihnen stammen und ihr Herrscher aus ihrer Mitte hervorgehen; den will ich herzutreten lassen, und er wird mir nahen; denn wer ist es, der sein Herz hingibt, um zu mir zu nahen?, spricht der HERR. Und ihr werdet mein Volk sein, und ich werde euer Gott sein!“
Gott kündigt einen an, der aus der Mitte der Juden stammt – einer von ihnen. Und er erklärt: keiner von euch kann sich mir nahen. Ich bin heilig, und ihr nicht. An euch kleben Ungehorsam und die Übertretung meiner Gebote. So wie ihr seid könnt ihr nicht zu mir kommen. Ihr seid im Exil, unüberwindbar weit von mir getrennt. Deswegen weint Rahel. Aber ich werde einen zu euch senden, der einer von euch sein wird – meinen Sohn Jesus Christus – und er ist heilig und kann zu mir treten. Und weil er am Kreuz für eure Sünden sterben wird und an eurer Stelle die Anforderung erfüllt, die ich von euch verlange – Heiligkeit – könnt ihr in ihm zu mir treten. Das ist Evangelium. Das ist Gnade. Jeremia 31, 3 sagt folgende Worte: „Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt; darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Gnade.“ Das zeigt sich in dieser Krippe an Weihnachten. „denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.“, sagt Gott in Vers 34 – in diesem Sohn Jesus, der geboren wird, wirft er den Grund, warum du getrennt von ihm bist, so weit weg, dass ihn niemand mehr finden kann.
Und vielleicht fragst du dich: aber was muss ich können, um diese Liebe und Gnade Gottes zu bekommen? Was muss ich draufhaben, um Teil dieser Geschichte zu sein? Wie sehr muss ich schon versucht haben, aus eigener Kraft zu Gott zu kommen, damit er mich annimmt?
Gott zeigt in diesem wunderbaren Kapitel: diese Liebe ist unabhängig davon, wie du aussiehst oder was du kannst. Es sind nicht die Starken, diejenigen, die überzeugt sind, dass sie aus eigener Kraft aus diesem fremden Land zu Gott kommen können – ganz im Gegenteil. In Vers 8 sagt Gott etwas ganz spannendes: „Siehe, ich bringe sie herbei aus dem Land des Nordens und sammle sie von den Enden der Erde; unter ihnen sind Blinde und Lahme, Schwangere und Gebärende miteinander; eine große Gemeinde kehrt hierher zurück!“ Aus dem Exil zurück ins Land Israel waren teilweise hunderte Kilometer, oft zu Fuß, zurückzulegen. Und dann ist klar, von welchen Leuten man sich sicher war, dass sie diesen Marsch nie schaffen würden – Blinde, Lahme und Schwangere. Aber Gott verspricht: gerade die hole ich nach Hause. Gerade die werde ich zu mir bringen. Egal, wie viel Gutes oder Böses du getan hast.
Dort wo wir überall, schon in der Schule, lernen, dass der Stärkste überlebt und die Schwachen für sie geopfert werden, ist es bei Gott genau andersherum: der Stärkste (dieser Fürst Jesus) wird geopfert, damit die Schwachen (wir) leben (Glen Scrivener). Das ist die Hoffnung. Das ist die echte Weihnachtsfreude.
Und es gibt noch mehr Grund zur Freude: Matthäus ist es wichtig, der grausamen Geschichte des Kindermordes ein Detail hinzuzufügen: (Matthäus 2, 19) „Als aber Herodes gestorben war…“ Derjenige, der für das Weinen in Rama verantwortlich war, wird nicht mehr leben. Er wird nicht siegen. Er überlebt Weihnachten nicht. Und genauso ist es wieder in unserer Geschichte in Jeremia. Im ganzen Kapitel 30, besonders in den Versen 7-11 erklärt Gott, dass Satan fortan keine Macht mehr über uns hat, wenn wir an Jesus Christus glauben. Das ist keine unsichere Erlösung, sondern eine sichere Zuversicht. Es wird kein Weinen in Rama mehr geben: „So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind“, sagt Römer 8, 1.
Weihnachten – also doch ein Fest der Freude
Die Geschichten aus Jeremia und Matthäus haben uns gezeigt, dass Trauer über den Zustand der Welt und unserer eigenen Herzen vor Weihnachten einen wichtigen Platz hat. Denn in den Häusern, in denen man feststellt, dass die Welt ohne Jesus nicht heil ist, sondern wo man sich bewusst macht, dann man einen Erlöser braucht, um nach Hause zurückkehren zu können, dort wird echte Weihnachtsfreude herrschen. Gott sagt in Jeremia 31, 13: „…denn ich will ihr Trauern in Freude verwandeln und sie trösten und sie erfreuen nach ihrer Betrübnis.“
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